Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg
Der Festtag
Die Teilnehmer: Anreise und Aufmarsch
Propaganda vor dem Fest
Die Anreise zum Bückeberg
Der Aufmarsch der Massen
Warten auf den "Führer"
Die Teilnehmer des Festes
Auf der Ehrentribüne
Exkurs: Das Fest als Verkörperung von Volksgemeinschaft
Propaganda vor dem Fest
In drei aufeinander folgenden Propagandawellen wurde die Bevölkerung auf das Erntedankfest vorbereitet. Das vom Reichspropagandaministerium erarbeitete Konzept für das Jahr 1935 sah drei Phasen vor.
Die erste Phase stand unter dem Motto "Stadt und Land - Hand in Hand" und proklamierte die nationalsozialistische Volksgemeinschaft.
Mit dem Schlagwort "Unser Brot aus eigener Scholle" warb die zweite Phase für den Autarkiegedanken und die "Erzeugungsschlacht".
Im Zentrum der dritten Phase stand schließlich das Motto "Unterm Erntekranz".
Für die einzelnen Werbewellen wurden Broschüren, Plakate und Filme eingesetzt. Presse, Rundfunk und Sonderveranstaltungen warben massiv für die Teilnahme am Fest.
Die Anreise zum Bückeberg
Geschmückter Sonderzug (1933) (Foto: Ostwald)
Als Gruppe, z.T. in dörflicher Tracht, hatten sich die Menschen auf den Weg gemacht. Schon bei der Anreise sollte das Gemeinschaftsgefühl eine Rolle spielen.
1937 fährt die Reichsbahn 500 Sonderzüge. Hinzu kommen zahlreiche fahrplanmäßige Züge. Pro Zug kommen gut 1000 Menschen. In Hameln im Hauptbahnhof laufen die Züge im Abstand weniger Minuten ein und müssen in kürzester Zeit abgefertigt sein.
Jährliches Ziel war immer, das Vorjahr in allen Belangen zu übertreffen. Die Zahl der im Vorjahr fahrenden Sonderzüge sollte in jedem Falle überschritten werden. Allein der Gau Südhannover-Braunschweig musste annähernd 100 Sonderzüge fahren.
"Erwarten will ich, dass aus dem Kreise Hannover-Land sämtliche Züge mit 1200 Personen besetzt werden, um auch bei dieser Gelegenheit wieder beweisen zu können, dass Hannover-Land in vorderster Linie marschiert. Zu Hause dürfen nur Lahme, Gebrechliche, Faule, Träge und staatsverneinende Elemente bleiben."
Der Kreispropagandaleiter Hannover-Land 1933
Vom Sonderzug wurden die Gruppen auf einen Sammel- und Warteplatz geleitet und dort über eigens installierte Lautsprecher willkommen geheißen. Hier gab es Anweisungen für den Weg zum Festplatz bzw. zum Quartier. Für die Rückfahrt wurden die Nummer des Zuges, die Abfahrtszeit und der Sammelplatz jedem einzelnen über Lautsprecher mitgeteilt. Dann standen Lotsen bereit, um nach einem Telefonanruf die Gruppe entweder zum Quartier und auf den überfüllten Kolonnenwegen sogleich zum Festplatz zu geleiten.
Der Aufmarsch der Massen
Fesselballons der Wehrmacht, die ab 6 Uhr morgens über dem Gelände schwebten, wiesen den Menschen den Weg. An den Kolonnenwegen standen SA, Reichswehr und Reichsarbeitsdienst Spalier. Die Marschkolonnen von den Bahnhöfen und den großen Parkplätzen gingen in Sechserreihe. Bereits der Anmarsch war als eine militärische Operation inszeniert.
Links: SS auf dem Weg zum Festplatz (1933) (Foto: Ostwald)
Rechts: Bauern aus dem Schaumburger Land auf dem Mittelweg (1933) (Foto: Nürnberg und Bückeberg)
Links: Trachtengruppe auf dem Mittelweg (1933) (Foto: Nürnberg und Bückeberg)
Rechts: Garbentragende Schnitterinnen auf dem Mittelweg (1933) (Foto: Nürnberg und Bückeberg)
Die Marschgruppen betraten den Platz von der östlichen bzw. der westlichen Seite. Der Platz war seit 1934 in zwölf Felder eingeteilt. Jeder Gruppe war ein festes Feld zugewiesen. So wurde ein chaotisches Auffüllen des Platzes wie im Jahre 1933 vermieden. Wege wurden freigehalten, um Sanitätern freien Zugang zu geben.
Links: Bäuerinnen aus dem Schaumburger Land als Spalier am Mittelweg (1933)
(Foto: Nürnberg und Bückeberg)
Rechts: Bäuerinnen mit Lindhorster Brautkronen am Mittelweg; dahinter SS (1933) (Foto: Ostwald)
Reichsarbeitsdienst mit Fahnen auf dem
Mittelweg (undatierte Postkarte)
Zwischen 6 Uhr und 10 Uhr sollten die Marschkolonnen auf dem Gelände eintreffen. Zwei Stunden vor Eintreffen des Führers um 12 Uhr sollte der Aufmarsch beendet sein. Dann mussten die Straßen für die Anfahrt der Ehrengäste frei sein.
Links: Prinz August Wilhelm zu Preußen, SA-Brigadeführer, auf dem Mittelweg (1933)
(Foto: Nürnberg und Bückeberg)
Rechts: Botschafter und Diplomaten auf dem Mittelweg (1933) (Foto: Ostwald)
Denen, die bereits auf dem Berghang warteten, bot sich über Stunden der Ausblick auf die endlosen Kolonnen, die im Gleichschritt zum Bückeberg zogen.
Warten auf den "Führer"
Warten auf den "Führer":
Volksfeststimmung (o.J.)
(Foto: Privat)
Bis zu sieben Stunden dauert es, bis der Platz gefüllt ist. Denen, die bereits auf dem Berghang warten, bietet sich über Stunden der Ausblick auf die endlosen Kolonnen, die im Gleichschritt zum Bückeberg ziehen.
Das Ornament der Masse
"Man zwingt die Massen dazu, sich überall selbst zu erblicken (Massenversammlungen, Massenaufzüge usw.). Die Masse ist sich so immer gegenwärtig und oft in der ästhetisch verführerischen Form eines Ornaments oder eines effektvollen Bildes. ...
Man schlägt, in der Absicht, die Bedeutung der Masse als einer Masse zu unterstreichen, alle mythischen Kräfte aus der Masse heraus, die zu entwickeln sie fähig ist. So kann es vielen scheinen, als ob sie in der Masse über sich hinaus gehoben würden."
Siegfried Kracauer (1935)
Links: Warten auf den "Führer" (1933) (Foto: Hampel, StA Hannover)
Rechts: Warten auf den "Führer": SA auf dem Festplatz (1933) (Foto: Hampel, StA Hannover)
Die Teilnehmer des Festes
Für die ängstlich auf Popularität bedachte NS-Führung war es notwendig, eine ununterbrochene, steil nach oben führende Erfolgskurve zu zeichnen.
Offizielle Teilnehmerzahlen: | ||||
1933 | 500.000 | |||
1937 | 1.200.000 | |||
Blick auf den gefüllten Platz (1933)
(Foto: Nürnberg und Bückeberg)
Die Teilnehmerzahlen stammen von den Veranstaltern und sind mit Sicherheit propagandistisch aufgerundet. Trotzdem wird niemand in Abrede stellen dürfen, dass das Bückebergfest eine erfolgreiche Massenkundgebung war, die sich vor Besuchern nicht retten konnte.
Ein großer Teil der Besucher kommt aus den Regionen um den Bückeberg. Im Gegensatz zum übrigen Reichsgebiet soll es hier keine örtlichen Erntedankfeste geben, um dem Bückeberg keine Konkurrenz zu machen.
Die Aufrufe zum Fest wenden sich an die gesamte Bevölkerung.
"Der deutsche Erntedanktag ist durch das Zusammenwirken der neuen Volksgemeinschaft in Stadt und Land zum großen Symbol der neuen Wiedervereinigung des gesamten deutschen Volkes geworden." (Goebbels in der DEWEZET 3. 10. 1933)
Der Tag des deutschen Bauern soll ein Fest des ganzen Volkes, der "Volksgemeinschaft" werden. So sind es längst nicht nur Bauern, die das Fest besuchen, sondern auch zahlreiche Menschen aus den Städten.
Blick auf den gefüllten Platz (1935)
(Postkarte)
Die Menschen kamen, weil sie Hitler erleben wollten. Der gewaltige Mobilisierungserfolg gründete sich auf dem Versprechen eines großen Erlebens. Die Leidenschaftlichkeit der Nationalsozialisten war ein zentrales Moment ihrer Anziehungskraft. Die Hitler-Reden wurden als eine Art Volksvergnügen 'genossen'.
Mehr als 60 Prozent der Festteilnehmer sollen Frauen gewesen sein.
Interviews und Lebenserinnerungen zeigen, dass sich vor allem die ehemaligen BDM-Führerinnen selbständig, kritisch und eigenverantwortlich gefühlt haben. Mit dem Eintritt in BDM und Arbeitsdienst konnte man sich aus engen familiären, normativen und religiösen Bindungen lösen.
"Man brauchte mich! Das Gefühl, nötig zu sein für ein Ganzes, nicht mehr am Rand zu stehen und zusehen zu müssen - dieses Gefühl war neu für mich und wie ein Rausch."
Renate Finckh, Mit uns zieht die neue Zeit
Auf der Ehrentribüne
Die obere Tribüne bietet 3000 Ehrengästen Platz:
Neben den Regierungsmitgliedern und Diplomaten und den übrigen Ehrengästen sitzen hier 1000 so genannte Kriegs- und Arbeitsopfer, aber auch zahlreiche Bauern und Studenten im Landjahr (die "Arbeiter der Stirn"). Volksgemeinschaft soll demonstriert werden.
Exkurs: Das Fest als Verkörperung von Volksgemeinschaft
Zwietracht zerstört, Eintracht vermehrt.
Gemeinnutz geht vor Eigennutz.
Einer für alle, alle für einen.
Stadt und Land - Hand in Hand.
Jeder muss tun, was allen nützt!
Im irrationalen Weltbild des Nationalsozialismus gab es zwei zentrale Leitbegriffe, das Volk, d.h. die rassistisch und pseudosozialistisch verstandene "Volksgemeinschaft", und der von diesem Volk als Erlöser und Retter erwartete "Führer".
Die Sehnsucht nach Auflösung der Begrenzungen, nach Verschmelzung machte die Faszination der Volksgemeinschaft aus. Der Begriff der Volksgemeinschaft war der Zentralbegriff der nationalsozialistischen Propaganda.
Der Begriff war vage, aber - zumindest für einen Großteil der wirtschaftlich bedrängten Schichten - verheißungsvoll.
In Einrichtungen wie der "Volkswohlfahrt", dem "Winterhilfswerk" und der Organisation "Kraft durch Freude" wurde "Volksgemeinschaft" inszeniert und zugleich eine Entwicklung eingeleitet, die Klassengegensätze und Statusunterschiede überspielte, nationalen Gemeinsinn predigte, Frohsinn und völkische Verbundenheit propagierte.
Am Bückeberg feiert das gesamte Reich, die gesamte Bevölkerung. Das im Fest hergestellte Bild heißt Volksgemeinschaft.
Am Ortseingang eines
niedersächsischen Dorfes
(Foto: Privat)
Vom Begriff Volksgemeinschaft her lassen sich aber auch die Gruppen beschreiben, die z.B. aus rassischen Gründen ausgeschlossen sind und dem Fest fernbleiben.
"Erwarten will ich, dass aus dem Kreise Hannover-Land sämtliche Züge mit 1200 Personen besetzt werden.
Zu Hause dürfen nur Lahme, Gebrechliche, Faule, Träge und staatsverneinende Elemente bleiben."
Der Kreispropagandaleiter Hannover-Land 1933
Dem rassistische Leitbild physischer Vollkommenheit und Überlegenheit des "nordischen Herren-Menschen" steht die "verfluchte Rasse" von Außenseitern gegenüber, die Juden und Homosexuellen, die Geisteskranken und Gewohnheitsverbrecher, die Kommunisten und Zigeuner. Ein einziges Merkmal reichte aus, um ausgegrenzt, verfolgt, ermordet zu werden. Seit 1933, aber vermehrt mitten im Krieg führte das Regime einen wilden Krieg gegen Minderheiten.
Das Fest ist ein gewaltsamer und totalitärer Versuch, die von den Nationalsozialisten tief gespaltene Gesellschaft durch die symbolische Aufrichtung von Volksgemeinschaft zu überwinden.
Zum Fest als Ort der Integration und der "Zustimmung zur Welt" gehört immer auch die potentielle Ausgrenzung der Nonkonformen. Kitschiger, ritualisierter Gemeinschaftsidylle steht aggressives Vorgehen gegen "Volksfeinde" und "Gemeinschaftsfremde" gegenüber. Das Fest ist ein Ort symbolischer Gewalt. Am Bückeberg wird das am deutlichsten an der Gefechtsübung und an der Rede Hitlers.