Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg
Die Idee zum Fest
Die Entscheidung für den Bückeberg
Warum der Bückeberg?
Mythen um den Bückeberg
Exkurs: Das Ehrenmal für Horst Wessel auf dem Süntel
Die Gestaltung des Festplatzes
Der Festplatz als Kultraum
"Reichsthingstätte" Bückeberg - Kultstätte mit Ewigkeitsanspruch
Dass ein großes Bauernfest stattfinden soll, davon erfährt der Bürger des "Dritten Reiches" zum ersten Mal im Sommer 1933 aus der Zeitung. Ein großes Deutsches Erntedankfest soll jedes Jahr in allen Gauen gefeiert werden.
Am 1. Mai hatte man den Kampftag der Arbeiterbewegung gewaltsam in den "Tag der nationalen Arbeit", das höchste Fest der Volksgemeinschaft, umgewandelt.
Goebbels Ende März in seinem Tagebuch:
"Wir werden das in größtem Rahmen aufziehen und zum ersten Mal
das ganze deutsche Volk in einer einzigen Demonstration zusammenfassen.
Von da ab beginnt dann die Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften.
Wir werden nicht eher Ruhe bekommen, bis sie restlos in unserer Hand sind."
Am 2. Mai besetzten im ganzen Reich SA und SS die Gewerkschaftshäuser, beschlagnahmten das Gewerkschaftsvermögen und nahmen die Funktionäre in Haft.
Nun sollten auch die Bauern in den nationalsozialistischen Staat eingegliedert werden. Anders als bei den Arbeitern mussten die Nationalsozialisten bei ihnen nicht gewaltsam vorgehen. Bei den Bauern wählten die Nationalsozialisten den Weg der Verführung. Über ein riesiges Fest sollten der "Reichsnährstand" an das Regime gebunden werden.
Das Erntedankfest ist ein Teil des Prozesses der Machtübernahme, der die Nationalsozialisten in den Besitz der totalen Herrschaft bringen soll.
Die Entscheidung für den Bückeberg
Anfang August 1933 gibt der Landesbauernführer von Rheden bekannt, dass das Erntedankfest am 1. Oktober des Jahres auf den Weserwiesen in Hoya stattfinden soll. Das Fest soll unter dem Motto "Blut-Boden-Arbeit" stehen.
Anfang August 1933 kommt eine kleine Gruppe von Männern aus dem Reichspropagandaministerium nach Hagenohsen bei Hameln und nimmt für einige Tage Quartier in der Domäne. Die Kommission hat in Hoya wie in der Gegend um die Stadt Bückeburg vergebens nach einem geeigneten Platz Ausschau gehalten. Hier fällt nun die Entscheidung für den Bückeberg.
Mitte August erscheinen die ersten Gruppen des Reichsarbeitsdienstes, um in größter Eile den Bückeberg auf das Massenfest vorzubereiten.
Einige Monate nach dem ersten Erntedankfest erfährt die Öffentlichkeit, dass der Bückeberg "in jedem Jahr zur Feier des Erntedankfestes" benutzt werden soll.
Warum der Bückeberg?
Bei der Auswahl des Platzes spielen offenbar sowohl ideologische wie praktische Gründe eine Rolle. Für die Nationalsozialisten war Niedersachsen bäuerliches Kernland. Hier lebte noch "ein freies, kämpferisches Bauerntum". Auch die Verbindung mit der Weser, dem Strom, "der von der Quelle bis zur Mündung nur deutsches Land durchfließt", spielte bei der Wahl des Platzes eine Rolle.
Die Kommission hatte sich offenbar deswegen gegen das ursprünglich favorisierte Hoya ausgesprochen, weil für die An- und Abfahrt der erwarteten Massen mit Schwierigkeiten zu rechnen war. Da die Reichsbahn den größten Teil der Transporte zu leisten hatte, musste es ein Ort sein, der günstige Bahnverbindungen hatte. Hier boten sich im Gebiet um Hameln sehr gute Bedingungen.
Der Bückeberg bietet sich wegen der günstigen Neigung seines breiten Nordhanges als Platz für eine riesige Kundgebung förmlich an. Vom Hang aus genießt man einen weiten Blick in die schöne Landschaft des Wesertales.
Maßgeblich für die Wahl des Platzes war außerdem die Tatsache, dass es sich bei dieser Seite des Berges weitgehend um Domänenland handelte. Das Gelände war also im Besitz des preußischen Staates und damit leicht verfügbar.
Öffentlich hat man die Wahl des Platzes anders begründet.
Die Bückeberg-Propaganda spricht vom "ureigensten deutschen Boden" und Äckern, die "von den Kämpfen der deutschen Stämme um den deutschen Boden mit Blut getränkt" worden wären. Nicht weit von hier habe die Varusschlacht, der große Sieg der Germanen über die Römer, stattgefunden. Unten fließe die Weser, von der Quelle bis zur Mündung ein deutscher Fluss.
Mythen um den Bückeberg
Der Hamelner Heimatforscher Karl Keese:
"In der hügeligen und bergigen Weserlandschaft zeichnet sich der Bückeberg durch seine bevorzugte Lage aus.
Am Fuße des Berges fließt die Weser, der deutscheste aller Ströme, vorüber.
Nordwestlich sehen wir zwischen den Bergen die sagenumwobene Rattenfängerstadt Hameln liegen.
Im Westen schauen wir in das fruchtbare Hummetal; dort steht in dem Orte Dehrenberg der Stammhof der Ahnen Horst Wessels.
Ganz hinten im Norden thront majestätisch der Süntel, der durch die erbitterten Kämpfe unserer Vorfahren unter Widukind gegen die Heere Karls des Großen bekannt geworden ist; heute ist er dazu ausersehen, das Ehrenmal für Horst Wessel zu tragen.
Die Namen Dachtelfeld und das Blutbachtal erinnern noch heute an diese Freiheitskämpfe der alten Sachsen.
Nach der Sage soll der Herzog Widukind in dem Turmhause des Schlosses der Domäne Ohsen sich längere Zeit verborgen gehalten haben.
So ist das Land um den Bückeberg ein Land reicher Geschichte und ist oft eine Schicksalsstätte deutscher Geschichte gewesen."
Exkurs: Das Ehrenmal für Horst Wessel auf dem Süntel
In indirektem Zusammenhang mit dem Reichserntedankfest steht eine andere Planung, die von der Stadt Hameln betrieben wurde:
das Ehrenmal für Horst Wessel.
Horst Wessel ist von Goebbels systematisch zum "Märtyrer der Bewegung" stilisiert und von vielen Menschen im "Dritten Reich" verehrt und geliebt worden. Er ist der fröhliche, aufrechte SA-Mann, der im Sumpf der Großstadt Berlin die Fahne der "Bewegung" hoch hält und im Kampf gegen die Kommunisten im Jahre 1930 sein junges Leben opfert. Wessel ist Schöpfer des Liedes "Die Fahne hoch", das dem Nationalsozialismus zur zweiten Nationalhymne wird. Seine Vorfahren kamen aus dem Raum Hameln.
In Hameln plante man ein gigantisches Ehrenmal für Horst Wessel, das in Sichtachse zum Bückeberg im Gelände der ehemaligen Sandsteinbrüche auf dem Süntel errichtet werden sollte. Pläne, Zeichnungen und Modelle eines Wettbewerbs für ein "Horst-Wessel-Ehrenmal" haben sich teilweise erhalten. Als der Wettbewerb 1935 entschieden wird, ist Speer in Hameln.
Das Horst-Wessel-Ehrenmal ist gebaut worden. 1937 wird der Turm fertig gestellt, zwölf Meter hoch, an seiner Spitze ein fünf Meter großes Hakenkreuz aus Stahl. So grüßte nun Horst Wessel hinüber zum fernen Bückeberg. Wir müssen davon ausgehen, dass mit dem recht bescheidenen Turm nur ein Teil der geplanten Anlage gebaut worden ist.
1945 wurde der Turm auf Befehl der Besatzungstruppen gesprengt. Sein Massiver Körper liegt heute fast unversehrt auf dem Waldboden des Süntel.
Die Gestaltung des Festplatzes
Die originale Bildunterschrift lautet:
"Der Stab für Großkundgebungen
empfängt von Dr. Goebbels am Modell
vom Bückeberg Anweisung zur Durchführung
des Deutschen Erntedanktages"
Von rechts: Gutterer, Speer und Goebbels
(1933) (Foto: Privat)
Goebbels hatte die Aufgabe gestellt, ein bäuerliches Volksfest bisher unbekannter Ausmaße in freier Landschaft zu entwerfen. Der Reichspropagandaminister hatte dem Architekten Speer die Gestaltung des Platzes übertragen.
Die von Speer entworfene Gestaltung der riesenhaften Fläche ist einfach und bewusst schlicht gehalten. Speer war die Harmonie mit der lieblichen Landschaft des Wesertales wichtig. Ihr müssen sich alle gestalterischen Elemente einordnen. So fehlt dem Reichserntedankfest das Monumentale und die Strenge der Reichsparteitage von Nürnberg.
Speers Entwurf sieht nur wenige Elemente vor:
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zwei Tribünen, die eine an der Spitze des Hanges für die Ehrengäste mit einem gewaltigen Erntealtar, die zweite am Fuße des Berges, die so genannte "Rednerkanzel"
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einen ca. 800 Meter langen Weg, der beide Tribünen verbindet
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einen Fahnenring, der den großen Platz umschließt.
Vorbild für die Gestaltung des
Bückebergfestes: Feier des 'Tages der
nationalen Arbeit' am 1.5.1933
auf dem Tempelhofer Feld in Berlin
(Abb.: Stommer)
Die untere Tribüne (die "Pyramide") in einer
Skizze von Speer (1933) (Abb.: Privat)
Der "Führerweg" vor Hitlers Ankunft (1933)
(undatierte Postkarte)
Die Tribünen sind nach Speers Angaben aus Holz zu bauen, die Dekorationen per Hand zu fertigen. Alles soll betont einfach, bäuerlich gehalten werden.
Mehrere Tausend zehn bis zwölf Meter hohe Fahnenmasten sind zu einem riesigen Oval aufzurichten, das den Kundgebungsplatz einrahmen soll. Die Fahnenmasten bestehen aus rohen Fichtenstämmen. Das lang gezogene Hufeisen des mehrfachen Fahnenringes soll die Teilnehmer des Festes zu einer Gemeinschaft umschließen.
Der Festplatz als Kultraum
Mit wenigen Elementen hat Speer den Raum geschaffen, in dem sich nun das Fest ereignen wird.
Fahnen umstellen den Kultraum und schließen die Versammelten zur Gemeinde zusammen. Lieder werden das Gemeinschaftsgefühl erwecken. Ein Altar für die Erntegaben ist errichtet. Auf dem zentralen Weg wird sich der Heilsbringer nähern. Für seine "Predigt" gibt es eine gigantische "Führerkanzel". An die Ansprache wird sich ein Bekenntnis anschließen, danach ein abschließendes gemeinsames Lied. Die Liturgie der Feiern zeigt eine große Nähe zu den christlichen Kirchen. Das Szenarium erinnert an gigantische Kirchenräume und Altäre.
"Reichsthingstätte" Bückeberg - Kultstätte mit Ewigkeitsanspruch
Im Dezember 1933 - kurz nach dem ersten Fest - entscheidet Goebbels, dass das Reichserntedankfest auch in Zukunft stets auf dem Bückeberg stattfinden wird. Gleichzeitig erhebt er den Berg in den Rang einer altgermanischen Kultstätte und kündigt die Errichtung der "Reichsthingstätte Bückeberg" an. Dort soll das Reichserntedankfest künftig stattfinden.
Speers Modell des "Reichsthingplatzes"
Bückeberg (1933) (Foto: Privat)
Im Jahre 1934 liegt ein Modell des Bückeberges als "Reichsthingstätte" vor. Die Maße sind gewaltig: 450 Meter lang, 250 Meter breit, Platz für wenigstens eine halbe Million Menschen. Ein acht Meter hoher und ebenso breiter insgesamt 1200 Meter langer Erdwall - bestückt mit 2500 Fahnen - umschließt die Massen. In den Damm sollten Verkaufsstände, Sanitätsstationen und Toiletten eingebaut werden.
Vor der nun in Stein gebauten Rednertribüne befindet sich ein großer ebener Platz für Thingspiele und Volkstänze. Auf den östlichen und westlichen Seiten des Platzes gibt es breite Treppen, die die Menschen auf das Festgelände führen.
Das Modell "Reichsthingplatz Bückeberg" stammt von Speer. Die Monumentalität des riesigen Erdwalles und der steinernen Tribüne passt zu den Entwürfen, die Speer damals in Nürnberg bauen ließ. Sie harmoniert allerdings wenig mit dem ursprünglichen Konzept eines bäuerlichen Festes in freier Landschaft.
Der "Reichsthingplatz Bückeberg" - eine Bühnen- und Repräsentationsarchitektur - ist eine gebaute Megalomanie. Die Architektur ist "Wort aus Stein", eine Kultstätte mit Ewigkeitsanspruch. Ohne Rücksicht auf die Kosten - unter ständiger Einflussnahme von Goebbels - wird daran bis 1937 gebaut.
Der Bückeberg als Reichsthingplatz bleibt unvollendet. Die gewaltigen Wälle und die steinernen Treppen sind nie gebaut worden. Die Tribünen bleiben Holzbauwerke.