Zur Geschichte der Juden in Hameln
und in der Umgebung
Der jüdische Friedhof in Coppenbrügge
Synagogengemeinde im Landrabbinat Hannover |
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Lage und Größe: |
Dammstraße (Bundesstraße 1) im Ortszentrum; ca. 1000 qm von ursprünglich 1464 qm |
Bestand an Steinen: |
keine (Belegungsliste von 1936 zählt 64 Grabsteine); vom LV 1962 gesetzter Gedenkstein |
Daten zur Geschichte: |
Bestattungen seit 1787 |
Seit 1787 haben die Juden aus Coppenbrügge, Brünnighausen und Hohnsen auf ihrem Friedhof in Coppenbrügge ihre Toten bestattet. Sein Grundstück liegt - einen Morgen groß – längs der "Chaussee" auf Domänenland. Nach einer langen Zeit der Unsicherheit gelang es den Juden 1836 endlich, das Grundstück von der Domäne zu kaufen. Sechs Jahre später wurden die Torpfosten des Friedhofes aufgestellt mit der hebräischen Inschrift Bet Hachaim (Haus der Lebenden) und der Jahreszahl 1842. Der Eingang zum Friedhof befand sich an der Ostseite. Jüdische Friedhöfe werden gewöhnlich von Osten her betreten und belegt. Osten bezeichnet die Richtung nach Jerusalem, dort, wo der Messias dereinst wiederkommen wird. Nach Osten hin werden die Toten wieder auferstehen. Deswegen: "Haus der Lebenden".
Die jüdische Gemeinde des Ortes war im 18. und 19. Jahrhundert sehr bedeutend gewesen. Sie zählte zeitweise mehr als zehn Familien, 80 bis 100 Personen. Über mehrere Generationen waren jüdische Menschen hier ansässig; häufig besaßen sie Häuser. 1933 lebten noch drei jüdische Familien im Ort. Wer den Friedhof damals besuchte, sah eine große Zahl von z.T. prächtigen Grabsteinen. Eine Belegungsliste aus dem Jahre 1936 zählt mindestens 64 Grabsteine.
Der Friedhof wurde nicht erst in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 zerstört. Tatsächlich begann die Geschichte seiner Beseitigung und Zerstörung früher. 1935 bat der Bürgermeister von Coppenbrügge, Beckmann, den Landrat des Kreises Hameln-Pyrmont, Dr. Lambert, den Friedhof schließen zu lassen, "da derselbe inmitten der geschlossenen Ortschaft belegen ist und hart an das Siedlungsgelände anschließt". Der Landrat griff die Anregung des Ortsbürgermeisters sofort auf und bat den Regierungspräsidenten um Genehmigung. Er wies besonders darauf hin, dass der Friedhof in voller Breite an der Reichsstraße liegt, und forderte, den Friedhof "so schnell wie möglich" zu entfernen. Hitler nutzte diese Straße regelmäßig, wenn er mit dem PKW vom Reichserntedankfest am Bückeberg nach Goslar fuhr. Womöglich lag hier der Grund für den Eifer, den Bürgermeister und Landrat zeigten.
Die Regierung lehnte die Schließung jedoch ab: "Nie kann aus verkehrspolizeilichen Gründen ein Friedhof geschlossen werden!" Auf wiederholten Druck des Landrats hin entschloss sich der Regierungspräsident 1937 doch zur Schließung. "Weitere Bestattungen dürfen ... nicht mehr erfolgen." Das Schreiben des Regierungspräsidenten endet mit dem Satz: "Mit der Schließung des Friedhofes ist seine anderweitige Verwendung noch nicht verbunden." Der Friedhof sollte erhalten bleiben, bis die Ruhefristen aller Gräber abgelaufen waren.
Mit der jüdischen Gemeinde in Hameln wurde im Januar 1938 ein Vertrag abgeschlossen, wonach jüdische Tote aus Coppenbrügge in Zukunft in Hameln bestattet werden sollten. In dem vom Bürgermeister Beckmann unterschriebenen Vertrag verpflichtete sich die Gemeinde Coppenbrügge, "den jetzt geschlossenen jüdischen Friedhof ... auf ihre Kosten in einem würdigen Zustande dauernd zu erhalten."
Schon während der Vertragsverhandlung dachten Bürgermeister und Landrat jedoch darüber nach, die älteren Gräber des Friedhofes einzuebnen. Ein Verbleib des Friedhofes für "ewige Zeiten", wie es jüdischen Vorstellungen entspricht, kam für sie ohnehin nicht in Frage. Bereits im Februar 1938 schrieb der Bürgermeister an den Landrat: "Die Unterhaltung des jüd. Friedhofs wird keine Kosten verursachen, da der Friedhof eingeebnet wird und die Grabsteine beseitigt werden." Im Mai 1938 meldete der Bürgermeister dem Landrat Vollzug: "Die ganze Fläche ist als Wiese angelegt, wobei die Grasnutzung verpachtet wird." Nur vier Grabstellen, deren Ruhensfrist damals noch nicht abgelaufen war, hatte die Gemeinde stehen lassen.
Von Zeitzeugen ist bekannt, dass nach der Einebnung die Grabsteine auf einem großen Haufen gelegen haben. "Jeder holte sich, was er brauchte." Bruchstücke dienten als Unterbau für die Straßen im neuen Siedlungsgebiet. Ein SA-Mann nutzte sie als Fundament für eine Mauer. Auf dem christlichen Friedhof an der Dörper Straße, der damals gerade von der Gemeinde nach Westen hin erweitert wurde, fanden Grabeinfassungen als Kantensteine eine neue Verwendung. Die schön gestalteten Pfosten des jüdischen Friedhofes dienten als Torpfosten des christlichen Friedhofes. Die Böschung des Burgwalles nahe der Peterlinde befestigten Kantsteine vom jüdischen Friedhof.
Nun wollte die Gemeinde den Friedhof auch kaufen. Im Oktober 1938 wurde mit Oskar Levy, dem einzigen männlichen Juden, der nach dem Weggang der übrigen jüdischen Familien damals noch in Coppenbrügge wohnte, ein Vertrag über den Verkauf des Grundstückes aufgesetzt. 450 RM war die Gemeinde bereit zu zahlen, ein angesichts der Größe des Grundstücks lächerlicher Preis.
Am 15. Dezember 1938 musste der Bürgermeister jedoch melden: ""Der Vertrag konnte nicht abgeschlossen werden, da der letzte hier wohnhafte Jude verhaftet worden ist." Oskar Levi war in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 von der Gestapo verhaftet und über Hannover nach Buchenwald gebracht. Er verbrachte sechs schreckliche Wochen in Buchenwald. Nach seiner Entlassung zog Oskar Levy mit seiner Frau sofort nach Hannover, wo die Tochter Ruth wohnte. Alle drei wurden von dort am 15. Dezember 1941 in das Ghetto Riga deportiert.
Für den 21. Dezember 1938 berichtete Bürgermeister Beckmann, dass in Coppenbrügge nun keine jüdischen Familien mehr wohnen. Im selben Schreiben teilte er dem Landrat mit, dass der jüdische Friedhof "bei der Aktion gegen die Juden am 9./10. Nov. vollständig eingeebnet worden ist". In der "Reichskristallnacht" zerschlugen SA-Männer aus Coppenbrügge die letzten vier Steine des Friedhofes. Täter waren SA-Männer um den fanatischen Ortsgruppenleiter von Coppenbrügge, den "Viehverteiler" Walter Hasselwander.
Erst im Jahre 1941 fanden wieder Verhandlungen um den Verkauf des Geländes statt. Nun trat die Reichsvereinigung der Juden, Bezirksstelle Hannover, als Verkäuferin auf. Die "Reichsvereinigung" war eine von der Gestapo gegründete Zwangsorganisation, die das jüdische Vermögen restlos zugunsten des NS-Staates verwerten sollte.
Mit der Lüge, der Friedhof sei "voll belegt" und wegen seiner Lage an der Reichsstraße nicht zu Bauzwecken geeignet, begründete der Bürgermeister, dass allein die Gemeinde als Käuferin in Frage komme und dass nur ein Preis von 450 RM möglich sei. Der Reichsvereinigung war der Preis zu niedrig; sie willigte aber schließlich notgedrungen ein. 1942 teilte Beckmann der Reichsvereinigung überraschend mit, er selbst wolle als Käufer auftreten, "da ich Schwierigkeiten beim Abschluss des Kaufs mit der Fleckensgemeinde erwarte". Im Februar 1943 wurde schließlich ein entsprechender Kaufvertrag vor dem Notar in Hannover unterzeichnet. Seitdem war das Grundstück im Privatbesitz des Bürgermeisters Beckmann.
Soweit ist das Schicksal des Coppenbrügger Friedhofes durchaus nicht besonders ungewöhnlich. Auch die Friedhöfe in anderen Gemeinden wurden in der Regel nach ihrer Zerstörung an die politischen Gemeinden verkauft, verwilderten oder wurden als Wiese genutzt. Nach dem Krieg wurden sie allerdings auf Anordnung der Besatzungsmächte zumeist notdürftig wieder hergerichtet und in der Regel zu Beginn der 50er Jahre auch durch die Wiedergutmachungskammern zurückerstattet. In Coppenbrügge verlief die Geschichte anders.
1951 verlangte die Jewish Trust Corporation (JTC) die Rückerstattung des Grundstückes. Für sie war der religiöse Wert des Grundstückes als Friedhof maßgeblich, daneben aber auch die Vermutung, es sei ein viel zu niedriger Preis gezahlt worden. Das Wiedergutmachungsamt beim Landgericht Hannover holte eine Auskunft der Preisbehörde in Hameln ein. Danach wäre ein Preis von 2195 RM angemessen gewesen.
Der Besitzer argumentierte dagegen, er habe den Platz "mit großen Kosten hergerichtet", weil es sich um "einen schrägen Abhang" gehandelt habe. So habe er den Platz "mit 106 Fudern Boden begradigt". Von Beckmann benannte Zeugen belegten: "Das streitige Grundstück war versumpft, völlig verunkrautet und kein ordnungsmäßiges Grundstück. Das ist es erst geworden durch die Arbeiten, die der Antragsteller hat vornehmen lassen."
Befragt, warum er selbst das Grundstück erworben habe, erklärte Beckmann, dass "er den völlig verwahrlosten jüdischen Friedhof ... habe in Ordnung bringen wollen. Da die nationalsozialistische Gemeindeverwaltung den Platz nicht habe kaufen wollen, so habe er es getan und habe ihn wieder würdig hergerichtet, als ein gutes Bild für die Stadt."
Unabhängige Zeugen, die hätten belegen können, dass die Aussagen des Bürgermeisters jeder Grundlage entbehrten, hörte das Gericht nicht. Die Wiedergutmachungskammer I des Landgerichtes Hannover folgte den Aussagen der Zeugen und der Argumentation des Beklagten. Das Gericht hielt einen Preis des Grundstückes zwischen 450 und 750 DM für angemessen. Preismindernd habe sich der völlig verwahrloste Zustand des Friedhofes sowie "die von dem Antragsgegner übernommene Verpflichtung der Herrichtung des Friedhofes und dessen Pflege" ausgewirkt. Deswegen griff die Regelung, wonach Vermögenswerte im Wert von unter 1000 DM wegen Geringfügigkeit nicht zurückerstattet wurden, eine Bestimmung, die natürlich keinerlei Rücksicht auf den ideellen Wert, den das Grundstück als Friedhof hatte, nahm. Die Wiedergutmachungskammer wies im Jahre 1953 den Rückerstattungsantrag zurück. Der Friedhof blieb in Privatbesitz.
1962 übernahm das Land Niedersachsen die Aufgabe, das Gelände wieder als Friedhof herzurichten. Der Platz sollte von einem Gärtner gestaltet werden, eine Einfriedung mit einer Hecke sowie einen Gedenkstein erhalten. Die Kosten wollte das Land Niedersachsen tragen. Als Voraussetzung für die Neuanlegung mussten aber klare rechtliche Verhältnisse geschaffen werden. Deswegen wollte der Landesverband der jüdischen Gemeinden das Grundstück kaufen oder zumindest einen langfristigen Pachtvertrag abschließen, der die Unantastbarkeit des Friedhofes zusicherte. Aber weder ein Kauf noch der Abschluss eines langfristigen Pachtvertrages kamen zustande.
In der Folge waren die Eigentümer immerhin bereit, den Friedhof an den Flecken zu verpachten. Ein Teilstück verpachtete die Fleckengemeinde ab 1. Oktober 1962 weiter an den Landesverband zur Aufstellung eines Gedenksteines. 35 DM Pacht jährlich waren dafür zu zahlen. Der Pachtvertrag enthielt auch die folgenden Bestimmungen: "Der jetzige Durchgang zum Schulhof bleibt der Gemeinde zur Benutzung." "Die Gedenkstätte ist stets auf eigene Kosten in Ordnung zu halten." An den Landesverband gingen in der Folge Rechnungen über neue Türdrücker, Bordsteine in Richtung Schulhof u.a.m.
Gedenkstein des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden Niedersachsen von 1962
(Foto Gelderblom 2005)
Zugleich mit dem Bau der an den Friedhof südlich angrenzenden Schule hatte die Gemeinde einen Weg quer über den Friedhof angelegt, der als Durchgang zum Schulhof diente, und einen schmalen lang gezogenen Streifen des Friedhofes dem Schulhof zugeschlagen. Der westliche Teil wurde in dieser Zeit von einem Privatmann als Garten genutzt.
1977 nahm der Flecken Coppenbrügge den Friedhof in seinen Besitz. Er trennte den östlichen Teil ab und errichtete darauf eine Bushaltestelle. Diese Abtrennung geschah offenbar im Einvernehmen mit dem Landesverband der jüdischen Gemeinden, denn im Gegenzug pflegte und unterhielt der Flecken die Anlage.
Seit 1995 gelang es, durch Zeitzeugengespräche sowie mehrere Seminare und Ortsbegehungen die Bevölkerung des Fleckens auf das ganz in Vergessenheit geratene Thema des erloschenen jüdischen Lebens in Coppenbrügge aufmerksam zu machen. Presseartikel und Gespräche mit Politikern führten dazu, dass sich der Rat mit dem Thema befasste.
Seit seiner Zerstörung im Jahre 1938 dauerte es sechzig Jahre, bis im Rahmen einer kleinen Feier anlässlich des 9. November 1998 der Friedhof durch die Gemeinde Coppenbrügge wieder in jüdische Hände zurückgegeben wurde. Von der ursprünglichen Fläche in der Größe von 1464 qm sind allerdings nur noch ca. 1000 qm erhalten. Im Zuge der Rückerstattung wurden auch die alten Torpfosten aus dem Jahre 1842 wieder auf das Grundstück zurück gestellt. Außerdem informiert nun eine Informationstafel über den Friedhof und seine Geschichte.
Die auf den Friedhof zurückgestellten alten Torpfosten und Steinplatten
(Foto Gelderblom 2007)
Eingang mit Erinnerungstafel des Fleckens Coppenbrügge von 1998
(Foto Gelderblom 2005)
Der Text der Erinnerungstafel:
Der Jüdische Friedhof von Coppenbrügge
Auf diesem Friedhof haben die Juden aus Coppenbrügge,Brünnighausen und Hohnsen seit 1787 ihre Toten bestattet. 1937 wurde mit MeirAdler der letzte Jude beigesetzt.
In der Zeit des Nationalsozialismus – im Mai 1938 – hat dieGemeinde Coppenbrügge den Friedhof mit seinen über 60 Grabsteinen einebnenlassen. Die letzten vier Grabsteine, die damals stehen geblieben waren, habenSA-Männer aus Coppenbrügge am 9. November 1938 zerschlagen, dem Tag, als inDeutschland die Synagogen brannten. Das Grundstück wurde dann von einemPrivatmann gekauft und als Wiese genutzt. 1977 erwarb die Gemeinde Coppenbrüggeden Friedhof.
Es dauerte 60 Jahre, bis 1998 der Friedhof in verkleinerterGestalt durch die Gemeinde Coppenbrügge wieder in jüdische Hände zurückgegebenwurde.
Nach jüdischen religiösen Gesetzen sind Gräber Ruhestättenfür alle Zeiten. Ein Friedhof ist Stätte der Ewigkeit, „Haus des Lebens“.
Im Gedenken an jene Bürger von Coppenbrügge, die als Deutsche jüdischen Glaubens hier nichtbegraben werden konnten, sondern in der Zeit des Nationalsozialismusverschleppt und ermordet wurden:
Erich Levy, geb. am3.12.1886 in Coppenbrügge,
deportiert nach Riga, verschollen
Lieschen Levy, geb.Adler, geb. am 28.5.1889 in Coppenbrügge,
deportiert nach Riga, verschollen
Oskar Levy, geb. am2.10.1882 in Coppenbrügge,
deportiert nach Riga, verschollen
Ruth Levy, geb. am7.11.1911 in Coppenbrügge,
deportiert nach Riga, verschollen
Ernst Rothstein, geb.am 9.8.1881 in Coppenbrügge,
deportiert nachAuschwitz, verschollen
Bertha Spiegel, geb.am 26.6.1865 in Coppenbrügge,
deportiert nachTheresienstadt, gestorben am 18.9.1942.
„Ihre Seelen mögen eingebunden sein in das Bündel des ewigen Lebens“
Überblick von Westen (Foto: Gelderblom 1. Mai 2015)
Quellen:
HStA Hann; Archiv des LV; KrA HM-Pyr; GA Coppenbrügge; Privatarchiv Beckmann
Zu weiteren Einzelheiten vergleiche:
Bernhard Gelderblom, Die Juden von Coppenbrügge, Holzminden 2016