Zur Geschichte der Juden in Hameln

und in der Umgebung

 

Die jüdische Gemeinde Halle

Angeschlossene Orte:
Bisperode, Dielmissen und Kirchbrak

 

Aus der Geschichte des Ortes
Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde im 18. und 19. Jahrhundert
Das religiöse Leben im 19. Jahrhundert
Der Rückgang der jüdischen Bevölkerung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts
Die NS-Zeit
Nach 1945
Die Namen der Opfer
Politische und religiöse Zugehörigkeit der Gemeinde
Gesamteinwohnerzahl / darunter Juden
Quellen und Literatur

 

Aus der Geschichte des Ortes

Das Bauern- und Handwerkerdorf Halle, erstmals 997 erwähnt, wurde in seiner wirtschaftlichen Entwicklung durch seine günstige Infrastruktur beeinflusst. Gelegen an einem Kreuzungspunkt mehrerer Straßen und als Mittelpunkt einer Anzahl kleinerer Dörfer zwischen Ith und Vogler besaß der Ort während des 19. Jhs. eine regionale Zentrumsfunktion (Postamt, Agentur der Braunschweigischen Staatsbank, Apotheke, Kaufleute). Eine Industrialisierung fand in Halle nicht statt. Die Bevölkerung nahm seit Mitte des 19. Jhs. leicht ab und stieg erst während des 20. Jhs. wieder an.

 
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Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde im 18. und 19. Jahrhundert

Die früheste Bezeugung von Juden in Halle geht auf das Jahr 1771 zurück. In diesem Jahr erhielt Isaak Bendix als erster Jude einen Schutzbrief auf Halle. Während der 90er Jahre des 18. Jhs. waren in Halle mit Isaak Bendix und Fielip Feix zwei Familien ansässig, insgesamt 18 Personen. In der französischen Zeit nahm Issak Bendix den Namen Hallenstein und Fielip Feix den Namen Breitenstein an. Die Geschäftsbetriebe der beiden Schutzjuden waren so bedeutend, dass sie mehrere Knechte und Mägde beschäftigten. Zu dieser Zeit war der aus Witkowe (Preußen) stammende Lehrer Abraham Moses für den Unterricht der Kinder zuständig. Einen speziellen Begräbnisplatz gab es in Halle noch nicht. Meier Alexander hatte 1776 auf dem Friedhof der wesentlich größeren benachbarten jüdischen Gemeinde Kemnade beerdigt werden müssen.

1858 lebten in Halle drei jüdische Familien mit insgesamt 25 Personen, in den umliegenden Dörfern Bisperode, Dielmissen und Kirchbrak jeweils eine jüdische Familie. Die Kaufmannsfamilie Spiegelberg - seit 1781 in Bisperode bezeugt - ist dort bis 1901 nachweisbar. Die Familien Heilbronn aus Dielmissen und Breitenstein aus Kirchbrak verließen in den 80er Jahren ihre angestammten Wohnorte, um sich im größeren Halle niederzulassen. Das Amt Eschershausen begünstigte den Zuzug der Juden, indem es den Besitz von Häusern ermöglichte. Drei der vier jüdischen Familien (am bedeutendsten die Familie Hallenstein) unterhielten in ihren zentral liegenden Häusern offene Ladengeschäfte für Kolonial- und Manufakturwaren.

In Halle und den umliegenden Dörfern gab es so viel zahlungskräftige bäuerliche Kundschaft, dass sich hier mehrere Ladengeschäfte halten konnten. Eine weitere Familie (Breitenstein) betätigte sich als Schlachter, Fellhändler, Lotteriecollekteur und Lumpenfaktor.

In den 80er Jahren verließ der wohlhabende Kaufmann Baruch Hallenstein den Ort. Das Einkommen der verbliebenen drei jüdischen Familien lag nach der Berechnung der Kommunalsteuer des Jahres 1890 über dem Durchschnitt der Bevölkerung. Bereits 1850 wurde der Jude Gumpel Breitenstein im politischen Leben Halles aktiv. Er amtierte als Ratsmitglied (1850-1866) und Protokollführer im Gemeinderat.

 
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Das religiöse Leben im 19. Jahrhundert

Ihren Gottesdienst hielten die Juden im Haus Nr. 9 ab. Levi Hallenstein hatte das Gebäude 1851 gekauft; seit 1881 befand es sich im Besitz des Schlachters Breitenstein. Der hintere, etwas erhöhte Gebäudeteil hatte, bevor er von Levi Hallenstein zum Betraum ausgebaut wurde, als dörfliche Leinensammelstelle gedient. Der "Judentempel" war in einen Hauptraum für die Männer und einen schmalen Nebenraum für die Frauen unterteilt.

Die erste Erwähnung eines jüdischen Friedhofs in Halle, außerhalb des Ortes an der Ausfallstraße nach Dohnsen gelegen, geht auf das Jahr 1847/48 zurück. Der 250 qm große Friedhof wurde den Juden von der politischen Gemeinde kostenlos zur Verfügung gestellt und befand sich laut Verkoppelungsrezess des Jahres 1865 noch immer in ihrem Besitz. Für mehrere Dörfer im Umkreis Halles sind ebenfalls jüdische Friedhöfe bezeugt. In Kirchbrak verzeichnet der Rezess von 1859 einen ca. 140 qm großen Friedhof in der Feldmark (Nähe Westerbraker Straße 7), auf dem die Angehörigen der Familie Breitenstein beerdigt wurden. Auf Antrag Breitensteins beschloss die politische Gemeinde Kirchbrak 1871, die genauen Grenzen des Friedhofs festzulegen, vermutlich, weil es Probleme mit bestehenden Weide- und Wegerechten gab. Seit 1876 haben dort keine Bestattungen mehr stattgefunden. Das Friedhofsgelände ist inzwischen zu Gartenland umgewandelt. In einer Ortsbeschreibung aus dem Jahr 1926 wird ein jüdischer Friedhof in Dielmissen erwähnt, dessen genaue Lage heute nicht mehr zu ermitteln ist. Hierbei handelte es sich um Begräbnisstätten der Familien Hallenstein und Heilbronn. In Bisperode befinden sich zwei Grabsteine der Familie Spiegelberg am Rande des christlichen Friedhofes.

Über den Schulunterricht ist nur wenig bekannt. Ende der 60er Jahre scheint dieser durch Privatlehrer erteilt worden zu sein. Baruch Hallenstein inserierte mehrfach in der AZJ. Er suchte einen Hauslehrer mit
Hebräisch-, Fremdsprachen- und Musikkenntnissen. Auch Moritz Heilbronn beschäftigte Ende des 19. Jhs. einen Privatlehrer. An dem Unterricht nahmen nicht nur Heilbronns Töchter, sondern auch christliche Schülerinnen teil.

Zu antisemitischen Äußerungen führte im Jahr 1881 der Neubau der Pfarrkirche in Halle. Diese machten sich weniger in Halle selbst, als in der überregionalen Publizistik bemerkbar. Ein Zeitungsartikel in der "Deutschen Volkszeitung" Hannover vom 25. 10. 1881 kritisierte, dass Juden, die damals als Hausbesitzer selbstverständlich Abgaben zu den Kirchenlasten leisteten und deswegen nominell auch Ansprüche auf Sitzplätze in der Kirche hatten, nun auch zum Neubau der Kirche ihren finanziellen Beitrag gaben. Mit Hilfe jüdischen Geldes eine christliche Kirche zu bauen, das verrate einen "Mangel an klarer und fester kirchlicher Haltung". In der Gleichstellung der Juden und Christen sah man einen "leidigen, auf die Zersetzung des christlichen Volkslebens gerichteten Grundsatz".

 
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Der Rückgang der jüdischen Bevölkerung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts

Während der 90er Jahre des 19. Jhs. ging, wie in vielen Landgemeinden, die jüdische Bevölkerung Halles rapide zurück, so dass dort seit der Jahrhundertwende nur noch die alten Eheleute Heilbronn und die kinderlosen Eheleute Breitenstein lebten. Die Juden in Halle nahmen nun am Gottesdienst in Bodenwerder teil. Von Ferdinand Breitenstein ist bekannt, dass er als Gesangvereinsmitglied am gesellschaftlichen Leben des Ortes teilhatte.

Als das letzte ortsansässige jüdische Ehepaar Breitenstein 1923 starb, gingen die Kultgegenstände der ehemaligen Synagoge durch Erbschaft in den Besitz der Brüder Hermann und Emil Probst aus Schöningen über. Seit 1923 gab es in Halle keine jüdischen Einwohner mehr.

 
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Die NS-Zeit

Während der NS-Zeit lebte die Jüdin Margarete Gertrud Pieper, geb. Frank mit ihrem nichtjüdischen Ehemann August Pieper und ihren beiden Kindern in dem kleinen Dorf Osterbrak bei Halle. August Pieper wurde mehrmals aufgefordert, sich von seiner jüdischen Frau scheiden zu lassen und schließlich 1944 zur Zwangsarbeit in das Lager Lenne bei Eschershausen eingeliefert. Margarete Gertrud Pieper wurde im Jahre 1944 nach einer Denunziation verhaftet und in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück eingeliefert. Bei einem der Todesmärsche nach Malchow (Mecklenburg), einem Außenlager von Ravensbrück, ist sie am
17. April 1945 ums Leben gekommen. Ebenfalls deportiert wurde die aus Bisperode stammende Elise Rudnicki, geb. Spiegelberg, die am 5. September 1942 in Theresienstadt starb.

Ende November 1938 wurde der jüdische Friedhof in Halle geschändet. Auf dem Friedhof sollen sich ca. zehn Grabsteine befunden haben. Sie wurden abgeräumt und sollen als Einfassung für eine Miste verwendet worden sein. 

 
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Nach 1945

Heute erinnert an das jüdische Leben in Halle nur noch das Grundstück des jüdischen Friedhofs. Der Landesverband der jüdischen Gemeinden von Niedersachsen hat dort einen Gedenkstein aufstellen lassen. Das Breitensteinsche Haus, in dem sich früher die Synagoge befand, wurde 1971 abgerissen.

 
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Die Namen der Opfer

 

Ernst Lindner

wurde am 11. März 1893 in Halle geboren. Seine Eltern waren vermutlich Louis Lindner und Sophie, geb. Frankenberg.

Ernst Lindner wohnte später in Düsseldorf. Am 3. März 1939 flüchtete er nach Belgien.

Am 10. Mai 1940 marschierte Deutschland in Belgien ein. Die belgische Polizei führte daraufhin Massenverhaftungen unter den jüdischen Flüchtlingen aus den Gebieten des Dritten Reichs durch. Im Morgengrauen aus ihren Wohnungen geholt, wurden sie aufgefordert, Lebensmittel für 48 Stunden mitzunehmen.

Belgische Regierung und Polizei behandelten die Flüchtlinge als verdächtige deutsche Spione und deportierte sie ungeachtet des Asylrechts aus Belgien.

Im Zeitraum 10.-15. Mai 1940 übernahm die französische Gendarmerie an der französisch-belgischen Grenze die Flüchtlinge. Die Reise von Brüssel oder Antwerpen nach St. Cyprien dauerte 18 Tage. In den Transitlagern wurden die Gefangenen ihrer wenigen persönlichen Gegenstände beraubt.
In St. Cyprien soll es 5.000 bis 8.000 jüdische Flüchtlinge aus dem Dritten Reich gegeben haben, die meisten davon aus Belgien deportierte Juden.

Das weitere Schicksal von Ernst Lindner ist unbekannt. Laut Bundesarchiv wurde er für tot erklärt.

 

Elise Rudnicki

wurde am 28. Mai 1863 als Elise Spiegelberg in Bisperode geboren. Ihre Eltern waren Moses und Esther Spiegelberg. Elise Rudnicki lebte in Braunschweig und Berlin, zuletzt in einem Altersheim in Berlin-Köpenick.
Sie wurde am 24. August 1942 im Alter von 79 Jahren aus Berlin in das Altersghetto Theresienstadt deportiert und starb dort wenige Tage nach ihrer Ankunft am 5. September 1942.

 

Margarete (Grete) Pieper

wurde am 21. Juni 1906 als Tochter des Ingenieurs und Maschinenbauers Albert Frank und seiner Ehefrau Caroline in Herne geboren. Margarete Frank heiratete den Mühlenbauer August Pieper, der nach dem Tode von Albert Frank die Leitung der Maschinenfabrik in Osterbrak bei Kirchbrak übernahm. Die Eheleute hatten zwei Töchter, Karla (geb. 1926) und Inge (geb. 1936), die als "Mischlinge" Schweres erleiden mussten.
Weil der christliche Ehemann eine Scheidung von seiner jüdischen Frau verweigerte, wurde er im Herbst 1944 als "jüdisch Versippter" bis zum Kriegsende zur Zwangsarbeit in das Lager Lenne (Eschershausen) eingeliefert.
Margarete Pieper wurde im Jahre 1944 auf Grund einer Denunziation verhaftet und in das Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert. Sie starb wenige Tage vor Kriegsende am 17. April 1945, vermutlich auf einem der Todesmärsche von Ravensbrück nach Malchow/Mecklenburg.

 
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Politische und religiöse Zugehörigkeit der Gemeinde

Herzogtum/Freistaat Braunschweig, Provinz Hannover (ab 1941); bis 1807 Niedere Börde des Amtes Wickensen, 1807-1813 Kanton Eschershausen, Kreisamt/Amt Eschershausen, seit 1850 Landkreis Holzminden/Amtsgericht Eschershausen; heute: Landkreis Holzminden.

Synagogengemeinde im Landrabbinat Braunschweig.

 
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Gesamteinwohnerzahl / darunter Juden

Halle: 1798: 389 / ?, 1809: 389 / ?, 1821: 494 / ?, 1849: 617 / ?, 1858: 590 / 25, 1871: 539 / ?, 1885: 583 / ?, 1905: 618 / ?, 1907: ? / 6, 1913: ? / 6, 1925: 582 / keine, 1939: 580 / keine.

Bisperode: 1858: 7 Juden. Dielmissen: 1858: 7 Juden. Kirchbrak: 1858: 9 Juden.

 
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Quellen und Literatur

Gelderblom, Bernhard: Jüdisches Leben im mittleren Weserraum zwischen Hehlen und Polle. Von den Anfängen im 14. Jahrhundert bis zu seiner Vernichtung in der nationalsozialistischen Zeit. Ein Gedenkbuch, Holzminden 2003

Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel
Gemeindearchiv Halle
Gemeindearchiv Kirchbrak
Pfarrarchiv Halle
Kreisarchiv Holzminden

 
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