Presse
Zur Geschichte der Juden in Hameln und in der Umgebung
Eine kleine, aber bedeutungsvolle Tafel - 01.07.2010
Ungewöhnlich: Jüdische Gräber auf christlichem Friedhof - 22.06.2010
Auch hier endete das jüdische Leben gewaltsam - 11.05.2010
Hamelner forscht über jüdische Geschichte - 04.05.2010
Umgang mit dem Friedhof „kein Ruhmesblatt“ - 24.02.2010
Hannelore gibt der Geschichte einen Namen - 11.11.2009
Vom Leben in den Hamelner "Judenhäusern" - 22.08.2009
Gedenktafeln für jüdische Grabsteine - 09.07.2009
Gedenkstunde 29. Januar 2009 - 30.01.2009
(DEWEZET vom 1. Juli 2010)
Eine kleine, aber bedeutungsvolle Tafel
Salzhemmendorf (sto). Die Inschrift mit einem flüchtigen Blick im Vorübergehen vollständig zu erfassen, wird schwierig. Dafür hängt die kürzlich am Rathaus angebrachte Gedenktafel etwas zu hoch. Also Stehenbleiben und genau hinsehen, was es zu lesen gibt. Denn es ist zwar nur ein kleines Schild, dessen Bedeutung umso schwerer wiegt – viele Salzhemmendorfer sind froh, dass dem oft geäußerten Wunsch, die Geschichte wach zu halten, nun nachgekommen wird.
Karl-Heinz Grießner (hinten links), Bernhard Gelderblom (re.) und
Bodo Gideon Riethmüller betrachten die Tafel. Foto: sto
Der Text soll an die jüdische Familie Heilbronn erinnern, die das Gebäude 1922/23 errichten ließ, dort bis 1936 wohnte und ein angesehenes Textilwarengeschäft führte. Wegen massiver Boykotte der Nationalsozialisten wurde es am 1. Juni 1936 geschlossen. Moritz Heilbronn starb aus Gram bereits 1935. Seine Frau Gertrud flüchtete 1941 in die USA. Nach einer Zwangsversteigerung 1937 diente das Haus der Kreissparkasse als Geschäftsstelle. 1966 gelangte es durch einen Grundstückstausch an den Landkreis Hameln-Pyrmont, bis es 1967 die Gemeinde Salzhemmendorf kaufte. „Möglicherweise wurde es schon 1966 als Rathaus genutzt“, erläuterte Bernhard Gelderbom bei der Enthüllung der Gedenktafel, deren Inschrift er selbst verfasst hat.
Anhand alter Aufzeichnungen, Grundbuchakten, Standesamts- und Meldeunterlagen sowie durch Gespräche mit Zeitzeugen hat der Hamelner Historiker das Leben der aus Wallensen stammenden Familie Heilbronn recherchiert. „Mit großer Hilfe der Salzhemmendorfer Gemeindeverwaltung“, betonte Gelderblom. Eine derartige aktive Unterstützung sei nicht in jeder Gemeinde selbstverständlich. Den Anstoß, eine Gedenktafel anzubringen, habe Karl-Heinz Grießner, Wallensens Ortsbürgermeister, gegeben. Vom Rat und von der Verwaltung des Fleckens sei die Anregung unterstützt worden.
Gelderblom, der sich seit fast 30 Jahren mit der Geschichte der jüdischen Synagogengemeinde Salzhemmendorfs befasst, äußerte, dass er seine Recherchen gern in einem Buch zusammenfassen möchte. „Dafür benötige ich Fotos der Familie Heilbronn und finanzielle Zuschüsse“, so der Historiker. Gemeindebürgermeister Martin Kempe befürwortete den Wunsch der Nachhaltigkeit. Ebenso Bodo Gideon Riethmüller vom Landesverband der jüdischen Gemeinden Niedersachsens. „Mit seinem Engagement trägt Gelderblom dazu bei, dass Geschichte nicht in Vergessenheit gerät“, betonte er.
Lange wurde der Wunsch gehegt, eine Gedenktafel am Rathaus anzubringen, jetzt ist sie da.
(DEWEZET vom 22. Juni 2010)
Ungewöhnlich: Jüdische Gräber auf christlichem Friedhof
Bisperode (sto). Hebräische Gebete und Lieder vermischen sich mit einer christlichen Andacht. Statt Blumen legen Rachel und Rebekka Dohme kleine Steine auf zwei aufrecht stehende Grabsteine. Diese alte jüdische Tradition hat mehrere Bedeutungen. Eine davon heißt soviel wie: Wir besuchen euch, denn wir haben euch nicht vergessen.
„Wir setzen damit auch ein Zeichen der Liebe und des Respekts“, sagt Rachel Dohme.
Schon viele Steine hat die Vorsitzende der „Jüdischen Gemeinde Hameln“ auf Gräber jüdischer Friedhöfe gelegt. Diesmal ist ihre Geste aber von ganz besonderer Art, wird sie doch vollzogen auf einem christlichen Friedhof, wo direkt im Eingangsbereich die Grabsteine der Eheleute Moses, verstorben 1866 in Bisperode, und Esther Spiegelberg, geborene Wolfes, verstoben 1901 in Bisperode, stehen.
Jüdische Grabsteine auf einem christlichen Friedhof? „Das entspricht nicht dem jüdischen Ritualgesetz und ist aus christlicher Sicht außergewöhnlich“, betont Bernhard Gelderblom. Der Hamelner Historiker hatte für die beiden Grabsteine eine Gedenktafel entworfen, die nun in einem kleinen feierlichen Rahmen der Öffentlichkeit präsentiert wurde. „Es ist ein ungewöhnlicher, aber erfreulicher Anlass für diesen Friedhof“, findet Peter Frost, Pastor der evangelischen Kirchengemeinde am Ith. Ungewöhnlich ist auch die Geschichte, die der Präsentation vorausgegangen war.
Für die Geschichte ihrer Urgroßmutter aus Deutschland interessierte sich eine in Kanada lebende Ur-Enkelin. Susan Comay fand heraus, dass ihre Vorfahrin Elise Rudnicki, geborene Spiegelberg, 1942 im Ghetto Theresienstadt starb. Bei der Internetrecherche vor zwei Jahren stieß die Enkelin auf die Website des Historikers Gelderblom, auf der sie Informationen über ihre Urgroßmutter fand und daraufhin zweimal nach Deutschland reiste. Das letzte Mal 2009. Gemeinsam mit Gelderblom besichtigte sie die Grabsteine auf dem Friedhof von Bisperode und das Haus in der Voremberger Straße 11, der ehemaligen Brinksitzerstelle 84. Dort hatten die Eheleute Spiegelberg gewohnt und dort war Elise 1863 geboren worden.
Wieder zurück in Kanada, bat Susan Comay die Gemeinde Coppenbrügge schriftlich, eine Gedenktafel an den Grabsteinen anzubringen. „Nach Aussagen von Zeitzeugen hatten die Grabsteine ursprünglich außerhalb des christlichen Friedhofes gelegen, und zwar an dem Rand der Böschung zur Straße, die von Bisperode nach Harderode führt“, erläutert Gelderblom. Vor einigen Jahren waren die Steine dann im Eingangsbereich des Friedhofes aufgestellt worden. Wo sich das Grab genau befand, wisse niemand mehr. „Es ist wundersam, dass die Steine während der Pogromnacht des 9. November 1938 von dem Vandalismus der Nazis verschont geblieben sind“, so der Historiker.
Die Kosten für die Gedenktafel tragen gemeinsam die Kirchengemeinde am Ith, der Ortsrat Bisperode in Zusammenarbeit mit dem Flecken Coppenbrügge sowie Susan Comay. „Die heutige Präsentation ist Zeugnis dafür, dass sich auch die Bürger und Bürgerinnen aus Bisperode für die Integration Andersgläubiger einsetzen“, sagt Helmut Zeddies, Coppenbrügges stellvertretender Gemeindebürgermeister.
(DEWEZET vom 11. Mai 2010)
Auch hier endete das jüdische Leben gewaltsam
Salzhemmendorf (hen). Die Bemühungen von Bernhard Gelderblom, die Erinnerung an die einst als Mitbürger unter den Salzhemmendorfern lebenden Juden wachzuhalten, tragen Früchte: Die Gemeinde hat zugesagt, am heutigen Rathaus, 1922 von der jüdischen Familie Heilbronn als Wohn- und Geschäftshaus erbaut, eine Gedenktafel anzubringen. Der Ortsrat will eine Tafel am jüdischen Friedhof anbringen.
Erich nach seiner Entlassung aus Buchenwald.
Für den Hamelner Historiker war die Recherchearbeit in Salzhemmendorf besonders langwierig und aufwendig. Um die verwickelten Vorgänge in der Zeit des Dritten Reiches zu rekonstruieren, musste er zahlreiche Archive aufsuchen. „Besonders wertvoll waren mehrere Interviews mit Salzhemmendorfer Bürgern, die ich teilweise schon vor Jahren geführt hatte, sehr wertvoll aber auch die schriftlichen Erinnerungen von Erich Davidsohn selbst, die sein heute in England lebender Sohn mir überlassen hat“, sagt Gelderblom.
Wie zuvor in Hemmendorf und Lauenstein, hat er in Salzhemmendorf die vielen interessierten Gäste seines Vortrages sehr berührt – „unter den 80 Personen waren diesmal viele Jugendliche, Besucher auch aus Hannover und Hildesheim und Zeitzeugen aus Salzhemmendorf“, sagt Karsten Appold vom Ortsrat, der zu dem Vortrag eingeladen hatte. „Herr Gelderblom hat einen fesselnden und betroffen machenden Vortrag gehalten“, so der Grüne. An dem Abend kam es auch zum Austausch mit Zuhörern, die beispielsweise die Kaufmannsfamilie noch kannten.
In Salzhemmendorf haben nachweislich seit 1685 Juden gelebt. „Wir können also von wenigstens 250 Jahren jüdischem Leben in Salzhemmendorf ausgehen“, sagt Gelderblom. Über Jahrhunderte gestaltete sich das Verhältnis zwischen Christen und Juden gutnachbarschaftlich. „Von Antisemitismus hören wir aus der Zeit vor 1933 nichts“, so der Historiker. Die letzten jüdischen Einwohner verließen den Ort 1939. Das mehrere Jahrhunderte alte jüdische Leben in Salzhemmendorf endete gewaltsam in der NS-Zeit. Mit Gertrud Heilbronn, der Ehefrau von Moritz, verzog am 21. Oktober 1936 das letzte Mitglied der Familie Heilbronn aus Salzhemmendorf. Die vierköpfige Familie Davidsohn meldete sich nach den schrecklichen Ereignissen der Pogromnacht des 9. November 1938 am 24. Januar 1939 nach Hannover ab.
Alle fünf Söhne von Michaelis und Elise Davidsohn waren Soldaten im 1. Weltkrieg gewesen, darunter auch Robert, der das Eiserne Kreuz und glänzende Militärzeugnisse aus Frankreich mitbrachte, zwei von ihnen kehrten aus dem Krieg nicht zurück. Wenn in Salzhemmendorf der Toten des Krieges gedacht wurde, dann wurden von der Kanzel regelmäßig auch drei jüdische Namen verlesen, Selli Heilbronn, Friedrich Davidsohn und Wilhelm Davidsohn. Die Eheleute Michaelis und Elise Davidsohn hatten fünf Söhne, die bis auf einen, Robert, alle Salzhemmendorf verließen.
Robert und Elfriede Davidsohn wohnten zusammen mit ihrem Sohn Erich in der Kampstraße 9. Seit 1927 lebte im Haushalt außerdem die Tochter von Elfriedes Schwester, Juliane Guttmann, zwei Jahre jünger als Erich.
Zeitzeugen beschreiben Robert Davidsohn als typischen „Landjuden“. Er schlachtete vor allem Ziegen und Schweine, zog über Land in die benachbarten Dörfer, das Zugseil der Ziegen um den Bauch gebunden, kaufte und verkaufte. Geschlachtet wurde im Hinterhof, wo das kleine Schlachthaus stand. Im Vorderhaus links wurde auf einem großen Tisch das Fleisch verkauft. Der Raum rechts daneben war als Synagoge eingerichtet. Alles sei recht bescheiden zugegangen. Robert wird als klein, gesetzt und von breiter Figur beschrieben. Er sei beliebt, ein „feiner Kerl“ und im Dorf integriert gewesen. Das Haus Kampstraße 9 gehörte der jüdischen Gemeinde von Salzhemmendorf. Seit 1845 diente dieses Haus den Juden aus Salzhemmendorf, Lauenstein, Hemmendorf, Wallensen und Duingen als Synagoge und Schule. Die langen Wege aus ihren Dörfern mussten die Juden zu Fuß zurücklegen.
Seit 1935, als in Salzhemmendorf die Boykotte gegen Heilbronns Geschäft losgingen, bemühten sich die Eheleute Davidsohn um die Auswanderung aus Deutschland. Robert plante eine Ansiedlung als Landwirt in Argentinien. Um dafür von der argentinischen Regierung eine Zulassung zu bekommen, musste die Familie spezielle Kenntnisse nachweisen. Der junge Erich wurde für drei Monate auf ein spezielles Ausbildungslager Hachscharah-Lager in Groß Breesen in Schlesien geschickt, um dort die Landwirtschaft zu erlernen.
„Am 12. Oktober 1938 schlossen die Behörden das Geschäft von Davidsohn. Wenige Wochen später kam es zur Katastrophe. Morgens um 5 oder 6 Uhr am 10. November 1938 wurden die Fensterscheiben des Synagogenraumes zerschmissen und die gesamte Inneneinrichtung kurz und klein geschlagen. Nach Aussagen von Zeitzeugen waren die Täter die örtliche SA; andere nennen die SS aus Lauenstein. Angeblich hat Bürgermeister Eickhoff das Anzünden des Hauses verhindert“, berichtet Gelderblom.
Robert Davidsohn wurde am folgenden Tage zusammen mit dem 16-jährigen Erich zuerst in das Zuchthaus Hameln und von dort in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Die Zustände in dem völlig überfüllten Lager waren furchtbar. Die Leute hungerten und die SS veranstaltete regelmäßig Prügelorgien. Zahlreiche Menschen, darunter Karl Zeckendorf aus Hemmendorf, überlebten den Aufenthalt in Buchenwald nicht. Erich konnte, möglicherweise wegen seines jugendlichen Alters, das Lager Buchenwald nach gut einem Monat – also verhältnismäßig früh – verlassen. Eine Woche nach seinem Sohn wurde auch Robert aus Buchenwald entlassen (am 12. oder 13. Dezember 1938). Die Familie ging nicht mehr nach Salzhemmendorf zurück, sondern zog laut Meldebuch am 24. Januar 1939 nach Hannover. Ganz überraschend gelang Erich am 6. Februar 1939 die Auswanderung nach England. Seine Mutter hatte ihn, während er in Buchenwald einsaß, dafür angemeldet. England weigerte sich, erwachsene Juden aufzunehmen, war aber bereit, jüdische Kinder einreisen zu lassen. Seinen Eltern gelang die Flucht nach Argentinien. Am 16. Juni 1939 – wenige Wochen vor Hitlers Überfall auf Polen – schifften sich Robert und Elfriede Davidsohn sowie Juliane Guttmann in Hamburg auf der „Monte Rosa“ zur Fahrt nach Buenos Aires ein. Im Gepäck führten sie nicht nur zahlreiche Gebetbücher, sondern auch die wertvolle handgeschriebene Torah der Salzhemmendorfer Synagoge mit.
Anders als aus Hemmendorf, von wo 1942 mehrere Jüdinnen und Juden deportiert wurden, wurde aus Salzhemmendorf niemand verschleppt. Aber vier Mitglieder der Familie Rosenstern, die in Salzhemmendorf gelebt hatten und beziehungsweise oder dort geboren waren, wurden aus anderen Orten des Deutschen Reiches deportiert.
1922 von der jüdischen Familie Heilbronn als Wohn- und Geschäftshaus erbaut: das heutige Rathaus. Hier soll eine Gedenktafel angebracht werden.
(vom 4. Mai 2010)
Hamelner forscht über jüdische Geschichte
(DEWEZET vom 24. Februar 2010)
Umgang mit dem Friedhof „kein Ruhmesblatt“
Die Geschichte des Friedhofs gereicht der Gemeinde nicht
zur Ehre, sagt Gelderblom. Fotos: Gelderblom
Lauenstein (hen). Mit einer Tafel am ehemaligen Haus Spiegelberg an die Bedeutung der Familie und die dem Hannoverschen Landesmuseum gestiftete Kunstsammlung Georg Spiegelberg zu erinnern, hat der Hamelner Historiker Bernhard Gelderblom den Lauensteinern ans Herz gelegt. Der Ortsrat hat bereits in Aussicht gestellt, dieser Anregung nachzukommen – ebenso wie dem Appell, einen Hinweis am ehemaligen Friedhofsareal anzubringen.
Groß war die Betroffenheit der interessierten Einwohner in Lauenstein über die Ausführungen Gelderbloms, vor allem über seine Darstellungen, was mit dem jüdischen Friedhof geschehen ist. „Das jüdische Leben in Lauenstein kennt keine Beispiele für Antisemitismus, der sich gegen Menschen richtete und ist insofern glücklich verlaufen. Aber mangels Menschen richtete sich der Judenhass der Nationalsozialisten dann gegen den Friedhof. Und die sehr unsensible Art, wie die Gemeinde nach dem Kriege mit dem Friedhof umging – die Juden mussten ihn zurück-kaufen –, ist wahrlich kein Ruhmesblatt“, sagt Gelderblom.
Laut Zeitzeugen wurde der Friedhof durch örtliche SA und SS 1938 in der sogenannten Pogromnacht zerstört. Zunächst sei die Zerstörung angeblich gar nicht aufgefallen, unter den älteren Einwohnern habe dann eine gewisse Empörung geherrscht, sagt Gelderblom. Die Grabsteine wurden anschließend vollständig vom Gelände entfernt.
Der Flecken, der das Grundstück nach Kriegsbeginn gekauft hatte, verpachtete das Land an einen Privatmann als Wiese. 1952 strengte die jüdische Seite ein Rückerstattungsverfahren an; ein Gericht lehnte ab, weil der Kaufpreis des Grundstücks unter der Grenze lag, von der an zurückerstattet wurde und missachtete damit den ideellen Wert, den ein Friedhof für Menschen jüdischen Glaubens hat. Als 1972 der Flecken Lauenstein das Gebiet um den Friedhof als Baugebiet ausweisen wollte, verzichtete der Landesverband der jüdischen Gemeinden auf den alten Zugangsweg, weil dieser den Bebauungsplänen im Wege stand. Vergeblich erbat der Landesverband die Schenkung des kleinen Grundstücks. Für 3850 DM, den halben Richtwert für Bauland, musste der Landesverband den Friedhof schließlich 1984 zurückkaufen.
Haus Blank, heute Im Flecken Nr. 12,
war über 125 Jahre im Besitz der Familie.
Heute liegt das kleine Friedhofsgrundstück eingezwängt in der Wohnbebauung. Der zugesicherte Abstand der Häuser von 20 Metern ist teilweise nicht eingehalten worden. Der neu geschaffene Zugang erfolgt über eine enge, hässliche Betontreppe von der Straße „Am Knickbrink“ aus. Die alten Torpfeiler sind verschwunden. „Die Geschichte des Friedhofs gereicht Lauenstein nicht zur Ehre. Formaljuristisch hat sich die Gemeinde korrekt verhalten. Aber sie ignoriert die Zerstörung des Friedhofes durch Lauensteiner Bürger, den von NS-Behörden erzwungenen Verkauf zu einem sehr niedrigen Preis, die wiederholte Verweigerung der Rückgabe, die heutige durch die Bebauung verursachte extrem eingeengte Lage des Grundstücks und das Verschwinden der Torpfosten“, sagt Gelderblom, der die Suche nach den alten Grabsteinen und Torpfeilern sowie das Anbringen einer Gedenktafel sowie die Übernahme der Pflege eines Grundstücksteils dringend empfiehlt.
Nahezu durch das gesamte 19. Jahrhundert lebten mit den beiden Familien Blank und Spiegelberg zwei jüdische Familien in Lauenstein. Die Zahl der Lauensteiner Juden war kleiner als die Zahl der Hemmendorfer und Salzhemmendorfer Juden. Besonders herausragend ist die Geschichte der Kaufmannsfamilie Spiegelberg. Über Jahrzehnte hatte sie Im Flecken Nr. 53 ein bedeutendes Geschäft. 1855 ging Alexander Spiegelberg nach Hannover und begründete dort das Bankhaus Spiegelberg, das eine glänzende Entwicklung nahm und für die industrielle Entwicklung Hannovers von großer Bedeutung war. Von Sohn Georg – in Lauenstein geboren und ebenfalls Bankier – stammt die „Stiftung Kommerzienrat Georg Spiegelberg“, die heute mit Bildern unter anderem von Max Slevogt und Max Liebermann einen sehr bedeutenden Teil der Sammlungen der Landesgalerie Hannover ausmacht. Im Zeitraum von 1909 bis 1914 schenkte Georg Spiegelberg zum Teil zusammen mit anderen Mitgliedern der Familie Spiegelberg (Hermann und Eduard) sowie anderen Stiftern dem damaligen Provinzial-Museum Hannover, dem Vorgänger des heutigen Landesmuseums, eine Reihe von Bildern.
1774 kaufte David Gerson die Bürgerstelle Damm Nr. 4 (heute Im Flecken Nr. 12). Über drei Generationen und den langen Zeitraum von 125 Jahren (bis 1899) blieb das Haus im Besitz der Familie Blank. 1816, im Alter von etwa 40 Jahren, wurde Sohn Moses David (Blank) Besitzer des väterlichen Hauses Damm Nr. 4. Solange war das Haus auf seine Mutter, die „Wittwe David Gerson“, eingetragen. „Die Übertragung auf einen der Söhne dauerte deswegen so lange, weil dieser erst einen Schutzbrief haben musste, und damit ließ sich die Behörde viel Zeit. Ohne Schutzbrief hatten auch erwachsene Söhne den Status eines Knechtes und durften strenggenommen nicht einmal heiraten. Viele wählten als Ausweg die Auswanderung, in der Regel nach Nordamerika“, berichtete Gelderblom.
Die beiden Torpfosten vom ehemaligen Grundstück Blank.
Juden war damals der Besitz von Land untersagt, nur Gartengrundstücke wurden ihnen zugestanden. 1816 gelang es Moses David (Blank), ein Gartengrundstück an der „Tweeftje“, heute Vogelsang, zu erwerben. Von diesem Grundstück stammen zwei Steilpfeiler, die den Eingang zum Grundstück bildeten. Beide Pfeiler zeigen in ausgespartem Feld einen hängenden Zapfen; der linke trägt darüber die Jahreszahl 1816, der rechte die Inschrift „Moses“. Die Pfeiler wurden in den 1980er Jahren auf dem „Bohneschen“ Parkplatz an der Straße Im Flecken wieder aufgestellt.
Eine weitere Gedenkinformationstafel könnte neben diesen beiden Torpfeilern von Moses Blank stehen, die sich heute auf dem Bohneschen Parkplatz befinden und an das jüdische Leben in Lauenstein erinnern, regte Gelderblom an. Sie würde auch einen Hinweis auf die letzte jüdische Einwohnerin Lauensteins, die Putzmacherin Ida Blank, enthalten.
Sie war am 11. Juli 1918 nach Delmenhorst gezogen. Die letzte deutsche Adresse von Ida Blank war Hamburg, Benekestraße 6. Von dort – einem jüdischen Altersheim – wurde die 79-Jährige nach Recherchen Gelderbloms am 16. Juli 1942 in das KZ Theresienstadt geschafft. Von dort wurde sie am 21. September 1942 in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und noch am selben Tage ermordet.
Doppelbildnis des Kommerzienrats Georg Spiegelberg und
seiner Frau Caroline (Ernst Oppler; Bestandteil der Stiftung
des Kommerzienrates Georg Spiegelberg,
Landesgalerie des LandesmuseumsHannover).
Auch eine Synagoge hatte die kleine jüdische Gemeinde Lauenstein. Im Besitz von Moses Blank dürfte laut Gelderblom auch das kleine, 1814 erbaute, etwas zurückliegende Haus Vogelsang Nr. 5 gewesen sein. Dieses Haus wurde früher „Judentempel“ genannt. Ein kleiner Raum im ersten Stock soll die Bezeichnung „Saal“ getragen haben. Ein Stein habe als Altar gedient. Das Haus wurde im Herbst 1983 abgerissen.
Die jüdischen Einwohner hatten einen bedeutenden Anteil am Leben der Dörfer. Mit seiner mühevollen Detailrecherche und den Vorträgen vor Ort will Gelderblom erreichen, dass an die ehemaligen jüdischen Mitbürger erinnert wird, beispielsweise mit Gedenktafeln.
Hemmendorf hat jüngst anlässlich des dortigen Vortrags von Gelderblom beschlossen, am örtlichen Friedhof eine Tafel anzubringen, der Flecken will eine Tafel am Rathaus. Ein weiterer Vortrag Gelderbloms findet am Freitag, 9. April, um 19 Uhr in Salzhemmendorf statt. „Hier waren die Ereignisse im Dritten Reich ähnlich schlimm wie in Hemmendorf“, sagt Gelderblom.
(DEWEZET vom 11. November 2009)
Hannelore gibt der Geschichte einen Namen
Hemmendorf (hen). Ein Mädchen mit schwarzen Locken in der Fotomitte fällt ins Auge: Hannelore. Der Name weckt Erinnerungen. "Die kenn’ ich noch. Mit der habe ich gespielt. Sie hat mir einen schwarz-weißen Stoffhund geschenkt. Und dann war sie weg." Eine ältere Hemmendorferin sagt diesen Satz leise, nur zu sich selbst, wird ihn aber an diesem Abend noch laut wiederholen. Auch eine andere Dame hatte gehofft zu erfahren, dass Hannelore es geschafft hat. Heute irgendwo lebt. Doch das kleine Mädchen, das einst in Hemmendorf wohnte, ist tot. Es wurde deportiert, mit einem Transport aus Hannover nach Warschau gebracht. "Hannelore wird ihre Tanten dort getroffen haben", vermutet Bernhard Gelderblom. Wenn Schicksale einen Namen haben, Grauen ein Gesicht bekommt, berührt uns das stärker, als wenn wir in Geschichtsbüchern darüber lesen. Gelderblom, Hamelner Historiker, will nicht schockieren, er will wachrütteln. Erinnern an die Menschen, die unter uns waren, und denen unsagbares Unrecht und Leid zugefügt wurde. In seiner leisen, nüchternen Art berichtet er, was er in akribischer, jahrelanger Recherche zusammengetragen hat über das Leben – und Sterben – der Juden in unserer Region. Seine Stimme erhebt der pensionierte Lehrer an diesem Abend im Dorfgemeinschaftshaus Hemmendorf nur, wenn es unruhig wird im Saal – wenn in seinem bebilderten Vortrag Häuser zu sehen sind, die alle kennen, und die einst jüdischen Mitbürgern gehörten.
1843 wurden die Juden des Amtes Lauenstein, also Salzhemmendorfs, Hemmendorfs, Lauensteins, Duingens, Wallensens, Eimes und Bantelns zur Synagogengemeinde Salzhemmendorf zusammengeschlossen. Noch im Jahre 1898 hatte der Synagogenverband Salzhemmendorf mit 51 Seelen die höchste Zahl im Kreis Hameln. Nach 1900 konnte man nur eine jüdische Familie als wohlhabend bezeichnen, die Kaufleute Carl und Moritz Heilbronn in Salzhemmendorf (Manufakturwaren und Korngeschäft). Sie hatten bald nach dem ersten Weltkrieg in Salzhemmendorf ein staatliches Wohn- und Geschäftshaus errichtet – das heutige Salzhemmendorfer Rathaus.
Um diesen Ursprung des Hauses wieder ins Bewusstsein zu rufen, soll am Rathaus eine Gedenktafel angebracht werden. Auch die Hemmendorfer wollen erinnern; der Ortsrat hat sich darauf verständigt, am ehemaligen jüdischen Friedhof eine solche Tafel zu installieren.
Zehn jüdische Opfer forderte der Holocaust aus dem kleinen Hemmendorf. Karl Zeckendorf wurde im KZ Buchenwald ermordet, drei Frauen wurden aus Hemmendorf deportiert, vier aus anderen Orten, zwei nahmen sich unmittelbar vor ihrer Deportation das Leben.
Gelderblom äußert schließlich die Bitte, der Ort möge doch noch einmal nach altem Fotomaterial oder Erinnerungsstücken forschen und nennt als Beispiel Grohnde, wo fünf alte jüdische Grabsteine wieder aufgetaucht seien, manche heimlich abgelegt. Um die Schuldfrage geht es dem Historiker hier nicht: "Sie müssen sich für Ihren Vater oder Großvater nicht schämen." Was für Gelderblom zählt: dass eine Diskussion in Gang gekommen ist. Dass etwas angeschoben wurde, was ihn seinem Ziel näher bringt: der Erinnerung. An Hannelore und die anderen Kinder, Frauen und Männer.
(DEWEZET vom 22. August 2009)
Nach dem Krieg wieder in Amt und Würden
Vom Leben in den Hamelner "Judenhäusern" / Stadtverwaltung wälzte alle Verantwortung ab
Diesen Artikel finden Sie in folgender PDF-Datei (ca. 2 MB).
(DEWEZET vom 9. Juli 2009)
Gedenktafeln für jüdische Grabsteine
Die Grabsteine von Moses und Esther Spiegelberg.
Bisperode (sto). Soll bei den jüdischen Grabsteinen von Moses und Esther Spiegelberg auf dem Friedhof Bisperode eine Gedenktafel angebracht werden? "Ich sehe keinen Hinderungsgrund", betonte Andreas Voß in der jüngsten Sitzung des Ortsrats Bisperode. Einwände gegen die Worte des Ortsbürgermeisters gab es nicht. Nun soll der Kirchenvorstand gehört werden.
Die Grabsteine von Moses und Esther Spiegelberg.
Zum Hintergrund: Im April hatte eine in Kanada lebende Ur-Ur-Enkelin der Eheleute Spiegelberg gemeinsam mit dem Hamelner Historiker Bernhard Gelderblom die genannte Grabstätte besucht (wie von der DEWEZET berichtet). Ende Mai erhielt die Gemeinde Coppenbrügge einen Brief der Ur-Ur-Enkelin, in dem sie darum bittet, eine Gedenktafel bei den Grabsteinen anzubringen. Sie sei sehr beeindruckt gewesen von dem "leidenschaftlichen Interesse" Gelderbloms am jüdischen Leben. "Gleichzeitig war es ermutigend, die etlichen Denkmäler und Gedenktafeln an den jüdischen Stätten zu sehen", schreibt Susan Comay. Sollte die Gemeinde Coppenbrügge mit einer Gedenktafel einverstanden sein, werde sie ihren finanziellen Beitrag dazu leisten. Darüber hinaus habe Bernhard Gelderblom eingewilligt, die Inschrift zu verfassen. Die Grabsteine von Moses und Esther Spiegelberg seien ein Teil der Bisperoder Geschichte. "Den Text für die Inschrift werde ich gern verfassen", so Gelderblom auf Anfrage. Wie durch ein Wunder seien die beiden Steine der Eheleute Spiegelberg in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 verschont geblieben. Nach Aussagen von Zeitzeugen haben sich die Grabsteine vor dem Krieg außerhalb des christlichen Friedhofs befunden, und zwar am Rand an der Böschung zur Straße, die von Bisperode nach Harderode führe. Nach dem Krieg seien die beiden Steine einige Meter in den christlichen Friedhof verrückt worden.
(DEWEZET vom 30. Januar 2009)
Sie hatten noch gar nicht angefangen zu leben
Gedenkstunde für die Befreiung von Auschwitz / Bernhard Gelderblom erinnert
an Kinderschicksale
Bernhard Gelderblom erinnerte in der Gedenkstunde für die Befreiung
von Auschwitz an Schicksale von jüdischen Kindern und Jugendlichen
aus Hameln und Umgebung in der Nazizeit. Foto: Wal
Hameln (wft). "Judenverfolgung spielte sich nicht
hinter verschlossenen Türen ab." Das wurde gestern Abend beim Vortrag
des Hamelner Historikers Bernhard Gelderblom anlässlich des Gedenktages
zur Befreiung von Auschwitz im Weserbergland-Zentrum wieder sehr deutlich.
Das besondere Thema dieser von fast 200 Menschen besuchten Veranstaltung:
"Kinder und Jugendliche im Holocaust".
Wie schwierig dieses Thema
zu erfassen ist und weshalb gerade der Leidensweg jüdischer Kinder in
der deutschen Öffentlichkeit bislang weitgehend unbeachtet geblieben
ist, hatte Bürgermeisterin Ina Loth in ihrer Begrüßungsansprache hervorgehoben:
"Kinder hinterlassen keine Spuren. Sie haben noch keine eigene Lebensgeschichte,
keine Biographie."
Mit akribischer Arbeit Spuren gesichert
Bernhard Gelderblom ist es mit seiner akribischen
Arbeit dennoch gelungen, Spuren zu finden, aus Namen und Daten und mithilfe
weniger Fotos Schicksale dem Vergessen zu entreißen. Ruth Binheim, Ruth
Birnbaum und Susanne Herzberg, alles Hamelner Kinder, blieben damals
am Leben, weil ihre Eltern nach den Recherchen des Historikers frühzeitig
die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Deutschland aufgaben und dafür
sorgen konnten, dass zumindest die Kinder dem Rassenterror der Nationalsozialisten
entkamen.
Wem dies nicht gelang, wer in Hameln in einem der drei
Judenhäuser eingepfercht wurde und Opfer der Deportationen wurde, dessen
Spuren verlieren sich im Grauen des industriellen Massenmordes oder
hinter den Mauern beispielsweise des Warschauer Gettos, wie Gelderblom
anhand einzelner Daten und Briefe nachwies.
Vier Kinder aus Hameln,
Ottenstein und Hemmendorf – Helene Dina Hammerschlag, Hanna Kornberg,
Hannelore Zeckendorf und Ingrid Friedheim – wurden so nach dem Zweiten
Weltkrieg gerichtlich für tot erklärt oder gelten als verschollen. Sie
hatten noch gar nicht richtig angefangen zu leben. Die Endpunkte ihrer
kurzen Lebensreise waren Auschwitz-Birkenau oder das Warschauer Getto.
Jedem einzelnen Schicksal ging Gelderblom vor dem in atemloser Stille
lauschenden Auditorium nach, schilderte den alltäglichen Antisemitismus,
den von Adolf Hitler und seinen Schergen geschürten Rassenwahn- und
hass, aber auch die "furchtbare bürokratische Normalität" der Hamelner
Stadtverwaltung, die sich zwar am von der SA praktizierten "Antisemitismus
der Straße" bisweilen gestört habe, "aber im Ziel, die jüdische Bevölkerung
aus dem Geschäftsleben und aus der Stadt zu entfernen, waren sich beide
einig".
Musikalisch begleitet wurde die Gedenkstunde von Ulrike Dangendorf,
die viele Zitate aus alten Kinderliedern, aber auch aus Durchhalteliedern
der Nazis, zu einem sehr feinfühlig interpretierten Programm zusammengestellt
hatte.