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Zur Person
Der Vater, ein Brauner - taz 2022
Heimatkunde, die irritiert und versöhnt - 2021
Das Gestern verstehen für eine bessere Zukunft - GB 4 2009
Kreuzkirche Hameln
Bundesverdienstkreuz am Bande - 30.01.2009
Interview
zum Obermayer German Jewish History Award - 28.01.2009
Obermayer German Jewish History Award - 27.01.2009
Der Vater, ein Brauner
Heimatkunde, die irritiert und versöhnt
Das Gestern verstehen für eine bessere Zukunft
Sich in Leiderfahrungen anderer hineinversetzen können
Gemeindebrief der ev.-luth. Kirchengemeinde "Zum heiligen Kreuz"
Hameln,
Ausgabe 4, 2009, S. 4-8
Im Rattenfänger-Jubiläumsjahr spielt ja immer wieder auch die Stadtgeschichte eine Rolle. Deshalb sprachen am 13.08. Pastor Lange-Kabitz und Heike Steuber-Weißensteiner mit dem Historiker und Lehrer Bernhard Gelderblom, der seit 1980 hier im Entengang wohnt.
Herr Gelderblom, wo sind Sie aufgewachsen und wie entstand bei Ihnen der Wunsch, Geschichte, Theologie und Politik zu studieren und Lehrer zu werden?
Gelderblom: Ich bin geboren in Schwetz an der Weichsel in Westpreußen. In diesem Gebiet, das bis 1939 polnisch war, war mein Vater als deutscher Beamter tätig, um das Land sozusagen zu "germanisieren". Mein Vater war von den Zielen und Idealen der Nationalsozialisten überzeugt. Nach dem Krieg herrschte bei uns zu Hause Schweigen über diese Zeit. Auch in dem Gymnasium, das ich als Schüler besuchte, war das III. Reich kein Thema. Erst der Film "Nacht und Nebel", den ich als Jugendlicher in einer anderen Schule sehen konnte, öffnete mir für diese Zeit die Augen und ich begann, nachzufragen.
Ich bin 1943 geboren und empfinde mich als Kriegskind. Obwohl ich mich an die Kriegszeit nicht bewusst erinnere, hat mich doch die elementare Erschütterung dieser Zeit und die Verunsicherung in der Nachkriegszeit geprägt. Ich empfinde Krieg als größtes Übel, als Zeit der totalen Gesetzlosigkeit. "Auschwitz darf nie wieder möglich sein" ist für mich zum Lebensmotto geworden.
Nach dem Krieg haben wir in Minden und Herford gelebt. Studiert habe ich in Münster, Wien, Bonn und Göttingen. Statt einer wissenschaftlichen Laufbahn habe ich mich ganz bewusst für das Lehramt entschieden und war froh, 1974 hier in Hameln am Albert-Einstein-Gymnasium eine Stelle zu bekommen. Dort konnte ich bis 2006 bleiben und bin dankbar, dass ich in all den Jahren vieles mitgestalten konnte. Ich war immer gerne Lehrer und habe versucht, Schüler über den "Kunstraum" Schule hinaus zu führen. Dadurch entstanden eine Reihe von Schülerprojekten im sozialen, politischen und religiösen Umfeld wie Arbeit mit Jugendlichen in der Jugendanstalt/Tündern oder zur Situation von Behinderten.
Die Schüler haben mich letztlich auch dazu gebracht, Geschichte nicht im Elfenbeinturm zu betreiben, sondern dem historischen Geschehen auf lokaler Ebene nachzuspüren. So ist mir diese "Heimatkunde des III. Reiches" in den Jahren nach und nach "zugewachsen". Es begann mit der Erschließung des jüdischen Friedhofes in Hameln und der Umgestaltung der Gedenkstätte an der Bürenstraße. Arbeiten zur Geschichte des Hamelner Zuchthauses bis hin zu der Ausstellung über den Bückeberg schlossen sich an.
Als Historiker studieren Sie nicht nur alte Urkunden. Sie sind ein Mensch, der sich in der Gegenwart engagiert. Wie kommt das?
Gelderblom: Grundlage aller Projekte ist natürlich erst einmal gründliche Recherche auch in Archiven. Das ist oft mühsam und langwierig, aber absolut notwendig. Darüber hinaus sind mir Interviews mit Zeitzeugen wichtig geworden. Ich möchte den Namen in alten Dokumenten ein konkretes Gesicht geben.
Im Gegensatz zu Städten haben Dörfer so etwas wie ein kollektives Gedächtnis. Wenn es gelingt, Ergebnisse von Akteneinsicht oder Zeitzeugenbefragungen bei einem Vortrags- und Gesprächsabend den Menschen vor Ort "zurück zu geben", dann ist dies eine große Erfüllung für mich. Ich bin gespannt, wie diesen Herbst die verabredeten drei Abende im Flecken Salzhemmendorf gelingen werden. Die Konfrontation mit der Geschichte eines Dorfes oder einer Stadt kann Erinnerungsarbeit und Trauerarbeit in Gang setzen und Menschen helfen, Erlebtes zu verarbeiten. Das ist mein Anliegen.
Nicht nur in diesen Begegnungen spüre ich, dass die Ereignisse des III. Reiches bis in unsere Zeit hinein wirksam sind. Mir sind immer die Menschen wichtig. So ging mein Interesse von den jüdischen Opfern über zu anderen "Opfergruppen", wie den Zwangsarbeitern und den Häftlingen des Zuchthauses. Nach vielen vertrauensbildenden Gesprächen, zu denen ich nach Osteuropa gereist bin, kam es in den Jahren 2005 und 2006 zu den Besuchen polnischer und ukrainischer Zwangsarbeiter/innen hier in Hameln.
Was war die schönste, was war die schwierigste Begegnung in diesen Projekten?
Gelderblom: Zwei Begegnungen aus dem letzten Jahr fallen mir dazu ein. Die erste: Der Sohn eines Zuchthausinsassen, der das Grab seines Vaters suchte. Der Vater, belgischer Sozialdemokrat, saß als politischer Häftling im Hamelner Zuchthaus ein und starb im April 1945 auf dem elftägigen Todesmarsch von Hameln bis in die Nähe von Rostock. Wir konnten nach langer Recherchearbeit das Grab dieses Mannes in Bad Liebenwerda (zwischen Leipzig und Berlin) finden. Ich fuhr mit dem Sohn dorthin und begleitete ihn zu dem Gedenkstein, den der Ort aufgrund der Recherchen hatte aufstellen lassen. Er sagte hinterher: "Heute habe ich meinen Vater begraben" und konnte Frieden finden. Das hat mich sehr berührt.
Schwer gefallen ist mir die Begleitung einer Frau, deren Vater hier im Hamelner Zuchthaus 1946 von den Briten als Kriegsverbrecher gehängt wurde. In der Familie der Frau wurden nur Legenden über den Vater erzählt, die die Tochter aber nicht zufrieden stellten. Ich konnte herausfinden, dass ihr Vater in Auschwitz und anderen KZs an den schlimmen Geschehnissen dort aktiv und führend beteiligt war. Ich habe mit ihr in Hameln die Orte aufgesucht, an denen Spuren ihres Vaters zu finden sind. Für sie war es unendlich schwer, die wahre Geschichte ihres Vaters zu akzeptieren. Sie muss damit nun leben. Ihre Bereitschaft dazu hat mich sehr beeindruckt. So werden die Kinder der Täter zu Opfern; auch sie haben ein Recht auf Trauer.
Wenn wir uns mit Geschichte beschäftigen, geht es ja nie ausschließlich bloß um Kenntnis der Daten und Fakten der Vergangenheit? Wozu sollen Menschen heute sich mit früheren Zeiten befassen?
Gelderblom: In den Jahren nach dem Krieg waren
die Menschen zu sehr mit ihrer aktuellen Situation beschäftigt, es
war keine Zeit, um die Wunden des III. Reiches aufzuarbeiten und
sich damit auseinander zu setzen. Mir geht es darum, diese Wunden zu
heilen. Dieses können wir nur, wenn wir uns der historischen
Wahrheit stellen und nicht nur mit den Opfern, sondern auch mit den
Tätern auseinandersetzen. Wir können aus der Beschäftigung mit
früheren Zeiten lernen, wie Entwicklungen begonnen haben, als es
noch möglich war, das Unheil aufzuhalten. In diesem Sinne plane ich
ein neues Projekt: Informationstafeln an Hamelner Kriegerdenkmälern.
Mir ist es wichtig, die alten Denkmäler in einen historischen
Kontext zu stellen, sie begreifbar zu machen, jedoch ohne frühere
Generationen moralisch abzuqualifizieren. Mit diesem und anderen
Projekten möchte ich der Stadt historische Tiefe geben.
Im Rattenfänger-Jubiläumsjahr finden wir es wichtig, als Gesellschaft, als Kirche den "Rattenfängern" unserer Zeit auf die Spur zu kommen und Kinder in ihrer Persönlichkeit zu stärken. Welche Aufgabe haben die Schulen, die Kirche, die Bürgerschaft?
Gelderblom: Sich in die Leiderfahrungen anderer hineinversetzen zu können, Fähigkeit zum Mitgefühl entwickeln zu können, halte ich persönlich für eines der wichtigsten Erziehungsziele. Das können historische oder aktuelle Leiderfahrungen sein. Dabei geht es um Arbeit mit Opfern, mit Tätern, aber auch mit den Menschen, die im III. Reich nur "Zuschauer" waren. Auch die evangelische Kirche in Deutschland hat Leid zugelassen. Die Reichspogromnacht am 9. November 1938 war z.B. den Kirchenvorstandsprotokollen des Hamelner Münster keine Erwähnung wert.
Zum Thema "Rattenfänger": Am "Bückeberg" kann man hervorragend zeigen, wie die Menschen damals den "Rattenfängern des NS-Reiches" auf den Leim gingen. Diese Veranstaltung hatte religiöse Dimensionen, man "pilgerte" dorthin, es erschien der "Heilsbringer". Hier kann man deutlich machen, wie die Einstimmung auf Krieg und Hass gegen Minderheiten funktionierte. Die Ausstellung zum "Bückeberg" ist in den vergangenen 10 Jahren an vielen Orten gezeigt worden. Sie war u.a. am Obersalzberg und wird in Nürnberg zu sehen sein.
Das Verhältnis von Juden und Christen beschreibt der Apostel Paulus mit dem Satz "Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich". Hilft solch ein Satz im heutigen Dialog von Juden, Christen und Muslimen?
Gelderblom: Die Kirche hat diesen Satz allzu oft in
ihrer Geschichte vergessen. Ohne den Jahrtausende alten
Antijudaismus wäre Auschwitz nicht möglich gewesen. Ich empfinde es
so, dass wir Christen in Auschwitz Jesus umgebracht haben. Deshalb
ist die Erinnerung an unsere gemeinsamen Wurzeln so wichtig.
Christen und Muslime müssen akzeptieren, dass sie jüdische Wurzeln
haben.
Wenn Sie nicht als Historiker arbeiten, womit befassen Sie sich sonst?
Gelderblom: Ich liebe Reisen in einer Form, wo man Menschen und Natur nahe kommt. Deswegen fahren meine Frau und ich im Urlaub gern Fahrrad und sind seit der Grenzöffnung häufig in Osteuropa unterwegs. Mich fasziniert auch die Wüste und ich wandere gerne. Ein wenig fehlt mir der Umgang mit Schülern. Deswegen arbeite ich in einem Projekt bei "Impuls", in dem Jugendliche wichtige Hamelner Häuser, die es heute nicht mehr gibt, als Modell wieder erstehen lassen. Mit dem alten Rathaus steht ein erstes Modell auf dem Pferdemarkt.
Was würden Sie der Kreuzkirche in Stammbuch schreiben?
Gelderblom: Kirche muss "Hefe" sein, Prozesse in Gang bringen, die bürgerschaftliches Engagement stärken, durchaus auch einmal falschen Frieden stören. Hier im Klütviertel sehe ich den Generationenumbruch als zentrales Thema. Auch unser heutiges Thema sollte Inhalt kirchlicher Arbeit sein. Ich wünsche mir eine Kirche als Forum für bürgerschaftliche Themen unter dem Motto "Suchet der Stadt Bestes".
Für seine Arbeit ist Bernhard Gelderblom 2008 mit Bundesverdienstkreuz am Bande und 2009 mit dem Obermayer German Jewish History Award geehrt worden. Wir danken ihm für dieses intensive Gespräch und wünschen ihm Gottes Segen für seine weitere Arbeit.
(DEWEZET vom 30. Januar 2009)
Begehbare Wege zu gelebter Versöhnung
Historiker Bernhard Gelderblom mit dem Bundesverdienstkreuz am Band
ausgezeichnet
Von Wolfhard F. Truchseß
Das Bundesverdienstkreuz bereits
am Revers, nimmt Bernd Gelderblom
die Verleihungsurkunde für die
Auszeichnung aus der Hand von
Bürgermeisterin Ina Loth entgegen.
Ganz rechts Gelderbloms Ehefrau Gisela.
Foto: Dana
Hameln. Darin waren sich alle Redner und Gratulanten einig: Dieser Mann hat das Bundesverdienstkreuz am Bande verdient. Bernhard Gelderblom, weit über die Grenzen Hamelns hinaus bekannter Historiker, nahm den Orden gestern während einer Feierstunde im Hochzeitshaus aus der Hand von Bürgermeisterin Ina Loth im Beisein von Freunden und Wegbegleitern, Geschwistern und zwei seiner Kinder sowie einigen wenigen Ratspolitikern entgegen, wobei zumindest ein Vertreter der SPD vermisst wurde.
Gelderblom, auch darin waren sich die Laudatoren Ina Loth und Herbert Diekmann einig, hat mit seiner inzwischen mehr als 20-jährigen Forschungsarbeit einen unverzichtbaren Beitrag zur Hamelner Stadtgeschichte, zur Gedenk- und Erinnerungskultur geliefert. "Sie haben", sagte Ina Loth, "das gesellschaftliche Bewusstsein in Hameln verändert." Und fügte ihrer Laudatio noch ganz persönliche Worte des Dankes für die Erkenntnisse über Hameln bei, die sie selbst Gelderblom und seiner Arbeit verdanke.
Wann hatte alles angefangen? "Ich hatte mich schon während meines Studiums mit Judaistik beschäftigt", erzählt Gelderblom, "und dann entdeckte ich 1986 den damals völlig zugewachsenen jüdischen Friedhof an der Scharnhorststraße." Es wurde sein erstes Projekt. Gemeinsam mit Schülern holte er die Grabsteine wieder ans Licht und entriss das vergangene jüdische Leben in Hameln damit dem Vergessen. Es blieb nicht bei den Grabsteinen. "Ein Jahr lang geforscht – am Ende standen 101 Namen deportierter Hamelner Juden", wie Ina Loth erinnerte.
Als Geschäftsführer der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit war Gelderblom maßgeblich daran beteiligt, ehemalige jüdische Mitbürger nach Hameln einzuladen und hier an der Versöhnung mit dem Grauen der Vergangenheit zu arbeiten. Auch auf die Errichtung des Mahnmals in der Bürenstraße nahm er an herausragender Stelle Einfluss. Dank seiner Initiative wird inzwischen an der Weserpromenade mit einer Gedenktafel des Leidens und Sterbens im Hamelner Zuchthaus während der NS-Zeit gedacht.
Konfrontation ist nicht sein Stil
Vor allem aber: Sein Wirken war nie nur vom akademischen Interesse des Historikers getrieben, sondern geschah immer im Bewusstsein, "tätige Versöhnungsarbeit" zu organisieren, wie die in Hameln aufgewachsene, jetzt in Hannover und Athen lebende Pädagogin Hiltrud Koch in einer privaten Feierstunde sagte. Das sei sein "ganz besonderes, herausragendes Verdienst. Er hat die Stadt Hameln und ihre Bürger dazu motiviert, sich ihrer Vergangenheit zu stellen."
Hiltrud Koch und ihr Ehemann Eckart hatten Gelderbloms Wirken und Forschen bereits jahrelang beobachtet und bei der Ausstellung im Hamelner Münster über die Zwangsarbeit für sich beschlossen: "Dieser Mann muss das Bundesverdienstkreuz bekommen." Drei Jahre dauerte es, bis ihrem Antrag stattgegeben wurde. Einer, der die Verleihung gern noch miterlebt hätte, war der verstorbene ehemalige Hamelner Superintendent Hans-Egbert Lange, der Gelderbloms Arbeit besonders schätzte und ihn eigentlich selbst für die Auszeichnung vorschlagen wollte.
"Der mit den Juden" wurde Gelderblom nicht selten genannt, und nicht alle Hamelner wollten seine Bemühungen verstehen, mussten etliche doch befürchten, mit schmerzlichen Erkenntnissen über ihre Familien oder Firmen konfrontiert zu werden. Doch Konfrontation war und ist nicht der Stil Gelderbloms. Wohl aber ging es ihm darum, "die Dinge beim Namen zu nennen, sie an die Menschen heranzubringen", wie er sich selbst sieht. Sein Verdienst, wie Diekmann es beschreibt: Er habe den Opfern zurückgegeben, was die Nazis ihnen geraubt hätten, "ihren ehrenwerten Namen, ihr einmaliges Gesicht, ihre soziale Identität, ihre kostbare Menschenwürde". Und er habe sich und seinen Mitbürgern dann begehbare Wege gewiesen "aus aufgedeckter Schuld zu gelebter Versöhnung".
Gelderblom ist heute besonders wichtig, dass er seine gesamte Forschung ins Internet stellt, um so ihre Nutzung zu vervielfachen. Und er will erreichen, dass am Bückeberg bei Hagenohsen zumindest Tafeln errichtet werden, die den Berg als NS-Kultort der Verführung identifizieren.
(DEWEZET vom 28. Januar 2009)
"Es ist ein sehr, sehr persönlicher Preis"
Bernhard Gelderblom in Berlin mit Deutsch-Jüdischem Geschichtspreis ausgezeichnet
Hameln/Berlin (wul). "Ich verdanke es Herrn Gelderbloms sorgfältigen Recherchen, dass ich heute weiß, wo meine Vorfahren begraben sind." So beschreibt Veronica Forwood aus London die Bedeutung des Hamelners Bernhard Gelderblom für ihr eigenes Leben. Die Nachfahrin Hamelner Juden ist eine von zwölf Männern und Frauen, die Gelderblom für den Deutsch-Jüdischen Geschichtspreis der Obermayer Stiftung (Obermayer German Jewish History Award) vorgeschlagen haben. Gestern Abend nahm er die Auszeichnung in Berlin für seine Arbeit, das Gedenken an die Juden in und um Hameln zu bewahren, während einer Feierstunde entgegen. Die DEWEZET hat mit ihm über den Preis gesprochen.
Herr Gelderblom, zunächst herzlichen Glückwunsch! Wie haben Sie von der Auszeichnung erfahren?
Danke schön. Das wird alles so hochgehängt, ich bin doch eher bescheiden, und jetzt dieses Hotel hier… Ich habe einen Anruf von Herrn Obermayer bekommen. Das war schon Anfang Oktober.
Kannten Sie diesen Preis vorher?
Nein, der war mir nicht bekannt. Ich bin von Freunden darauf aufmerksam gemacht worden. Sie haben mich nominiert.
Was bedeutet Ihnen der Award?
Sehr viel. Natürlich ist er nicht vergleichbar mit dem Bundesverdienstkreuz, das ich bekommen habe. Aber er ist ein sehr, sehr persönlicher Preis, dadurch, dass ich von den Juden nominiert worden bin – das macht ihn einzigartig. Es rührt mich ungemein.
Verstehen Sie ihn als Motivation, Ihre Arbeit fortzusetzen?
Das kann ich gar nicht lassen. Es bestärkt mich sehr, ja. Ich will in Erinnerung halten, dass Juden ein bedeutsamer Faktor unserer Kultur waren. Die haben mitgestaltet! Wir nehmen sie immer als Vernichtete wahr. Unsere Sicht auf die Juden ist verstellt durch den Holocaust. Und es freut mich, hier noch weitere kennenzulernen, die an gleicher Front arbeiten.
Was heißt an gleicher Front?
Die das auch mit diesem privaten Engagement machen. Ich bin Einzelkämpfer – da steht ja keine Institution hinter. Ich muss überall mit meinem Namen einstehen; wenn ich einen Buchdruck plane, muss ich betteln gehen.
Welches ist jetzt Ihr nächstes Projekt?
Ich arbeite an einem Buch über die Jüdische Gemeinde in Hameln und ihren Friedhof. Das wann erscheinen soll? Ich hoffe, dass die Veröffentlichung im Jahr 2009 erfolgt.
(DEWEZET vom 27. Januar 2009)
Hohe Auszeichnung für jahrzehntelanges Engagement
Hamelner Historiker Gelderblom wird heute in Berlin mit dem Obermayer German Jewish History Award geehrt
Hameln/Berlin (red). Hohe Auszeichnung für Bernhard Gelderblom: Der vielseitig aktive Hamelner wird heute im Plenarsaal des Berliner Abgeordnetenhauses mit dem Obermayer German Jewish History Award geehrt. Bernhard Gelderblom engagiert sich seit Jahrzehnten für die Bewahrung des Gedenkens an die jüdischen Bürger, die früher in Hameln und umliegenden Gemeinden lebten. In Anerkennung dieser Arbeit wird er heute neben fünf weiteren Deutschen im Berliner Abgeordnetenhaus ausgezeichnet.
Die Auszeichnung, die zum neunten Mal verliehen wird, geht an Deutsche, die die Erinnerung an die lokale jüdische Geschichte und Kultur wach halten und ihr Wissen über die ehemals jüdische Nachbarschaft weitergeben. Die Nominierenden sind Juden, die außerhalb Deutschlands leben, und viele von ihnen hatten Angehörige, die dem Holocaust zum Opfer fielen. In fast allen Fällen lebten ihre Familien einst in den Städten und Regionen, in denen heute die Preisträger das Gedenken an das einstige jüdische Leben und die verloren gegangene jüdische Kultur bewahren.
1985 entdeckte der Lehrer Gelderblom den verlassenen jüdischen Friedhof in Hameln und begann daraufhin, die Namen auf den Grabsteinen zu dokumentieren und Geschichten über das frühere jüdische Leben in der Stadt aufzuspüren. Im Laufe der Zeit erforschte und dokumentierte er buchstäblich Dutzende weiterer jüdischer Friedhöfe in Niedersachsen. Gelderblom ist Autor von acht Büchern zur lokalen jüdischen Geschichte und Initiator von Gedenktafeln am Standort der ehemaligen Hamelner Synagoge sowie einer Anne-Frank-Ausstellung – und das trotz Drohanrufen und sogar einer Bombendrohung. Nicht zuletzt hilft er auch Juden in aller Welt bei ihrer Suche nach Informationen zu Familienmitgliedern, die früher in der Region lebten.
Gelderbloms besonderes Interesse gilt dem Bemühen, die lokale jüdische Geschichte als Mittel gegen die "Holocaust-Müdigkeit" einzusetzen, einem heute in Deutschland in allen Altersgruppen verbreiteten Gefühl, dass man sich genug mit den Schrecken des Holocaust beschäftigt habe und nichts mehr davon hören möchte.
Am heutigen Holocaust-Gedenktag wird Bernhard Gelderblom nun in Berlin die Auszeichnung im Rahmen einer Feierstunde um 18 Uhr überreicht. Für die Obermayer-Stiftung, die ihren Sitz in Newton/Massachusetts hat, wird ihr Gründer Dr. Arthur Obermayer die Preisverleihung vornehmen. Parlamentspräsident Walter Momper hält die Begrüßungsansprache und wird später die Preise mit übergeben. Festredner ist Rudolf Dreßler, der von 2000 bis 2005 als deutscher Botschafter in Israel wirkte.