Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit
und in der Nachkriegszeit
Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit
Nach dem Sonderstrafrecht Verurteilte
Einführung
Unmittelbar nach Kriegsbeginn 1939 wurden strafverschärfende Bestimmungen geschaffen. Die Staatsanwälte brachten Personen selbst wegen geringfügiger Strafen vor die eigens geschaffenen Sondergerichte. Die verkürzten Verfahren sahen keine Rechtsmittel zum Schutze der Angeklagten vor. Die Urteile waren sofort rechtskräftig.
Unter "Kriegswirtschaftsverbrechen" und Vergehen gegen die "Verbrauchsregelungs-Strafverordnung" fielen z.B. das besonders häufige "Schwarzschlachten", Schwarzmarkt- und Tauschhandelgeschäfte, Hehlerei, Preistreiberei, Unterschlagung und Fälschung von Lebensmittelkarten und Bezugsscheinen.
Wegen "Wehrkraftzersetzung" oder "Heimtücke" konnte z. B. verurteilt werden, wer am Siege zweifelte, führende Personen des Reiches herabsetzte oder Sympathien für die Gegner äußerte.
Als Verstoß gegen die "Volksschädlingsverordnung" galt ein Diebstahl von Feldpostpäckchen oder ein Güterdiebstahl bei der Reichsbahn.
Mit Zuchthaus und sogar mit dem Tode konnte bestraft werden, wer Delikte, z. B. einen Diebstahl, unter Ausnutzung der Verdunkelung begangen hatte oder wegen "Plünderung" nach Luftangriffen gefasst worden war.
Verstöße gegen die Verdunkelungsvorschriften waren ebenfalls strafbar.
Das Abhören "feindlicher" Sender war in der "Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen" untersagt. Wer Nachrichten ausländischer Sender nicht nur hörte, sondern auch verbreitete, konnte in besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft werden.
"Die Sondergerichte müssen immer daran denken, dass sie gewissermaßen eine Panzertruppe der Rechtspflege sind.
Sie müssen ebenso schnell sein wie die Panzertruppe, sie sind mit ebenso großer Kampfkraft ausgestattet."
Dr. Roland Freisler, Staatssekretär im Reichsjustizministerium, 1939
Zitiert nach Justiz im Nationalsozialismus, Katalog zur Ausstellung, S. 69
Der Häftling Goguel über den Wandel in der Zusammensetzung der Häftlinge
mit dem Beginn des Krieges
Aus der Sicht des kommunistischen Häftlings Rudi Goguel stellt sich der Wandel in der Zusammensetzung der Häftlinge folgendermaßen dar:
"In den letzten Monaten hat ein Zustrom von 'Kriegstätern' aller Art eingesetzt mit Delikten, von denen man sich zu unseren Zeiten nie etwas hätte träumen lassen.
Die Schwarzschlachter, die Devisenschieber, die 'Heimtücker', sonstige Kriegswirtschaftsverbrecher stellen ein großes Kontingent. Bald werden sie in unserem Zuchthaus eine Kompanie aufstellen können.
Dann Verbrechen gegen die 'deutsche Ehre', Jungens, die mit Polen- und Russenmädels poussiert haben.
'Fahnenflüchtige', d.h. Leute, die zu früheren Zeiten wegen Urlaubsüberschreitung ein paar Tage Arrest bekamen, heute aber zur Abschreckung ins Zuchthaus gesteckt werden.
Eine besondere Rolle werden die Sittlichkeitsverbrecher spielen, meist homosexuelle Jugendführer oder Jugenderzieher. Viele von ihnen sind alte Nazis, schimpfen aber heute wie die Rohrspatzen auf das Dritte Reich. Einige wiederum versuchen durch Anbiederung an Beamte Karriere zu machen.
Nur eine Kategorie vermisse ich: Leute, die draußen den Widerstand gegen den Staat organisiert haben. Leute unseres Schlages!"
Goguel, S. 95
Die "Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen"
Der Text der Verordnung lautet:
"Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen.
Vom 1. September 1939
Im modernen Krieg kämpft der Gegner nicht nur mit militärischen Waffen, sondern auch mit Mitteln, die das Volk seelisch beeinflussen und zermürben sollen. Eines dieser Mittel ist der Rundfunk. Jedes Wort, das der Gegner herübersendet, ist selbstverständlich gelogen und dazu bestimmt, dem deutschen Volke Schaden zuzufügen.
Die Reichsregierung weiß, dass das deutsche Volk diese Gefahr kennt, und erwartet daher, dass jeder Deutsche aus Verantwortungsbewusstsein heraus es zur Anstandspflicht erhebt, grundsätzlich das Abhören ausländischer Sender zu unterlassen.
Für diejenigen Volksgenossen, denen dieses Verantwortungsbewusstsein fehlt, hat der Ministerrat für die Reichsverteidigung die nachfolgende Verordnung erlassen.
Der Ministerrat für die Reichsverteidigung verordnet für das Gebiet des Großdeutschen Reichs mit Gesetzeskraft.
§ 1 Das absichtliche Abhören ausländischer Sender ist verboten. Zuwiderhandlungen werden mit Zuchthaus bestraft. In leichteren Fällen kann auf Gefängnis erkannt werden. Die benutzten Empfangsanlagen werden eingezogen.
§ 2 Wer Nachrichten ausländischer Sender, die geeignet sind, die Widerstandskraft des deutschen Volkes zu gefährden, vorsätzlich verbreitet, wird mit Zuchthaus, in besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft."
Reichsgesetzblatt 1, 1939
Verstöße gegen die Rundfunk-Verordnung konnten nur auf Antrag der Gestapo verfolgt werden. Damit die Gestapo von dem Abhören Kenntnis erhielt, musste eine Anzeige vorliegen. Meist geschah dies durch gezielte Denunziationen, überwiegend aus dem unmittelbaren Nachbars-, Bekannten- und Verwandtenkreis.
Wolf-Dieter Mechler, Kriegsalltag an der "Heimatfront", Hannover 1997, S. 92-94