Zur Geschichte der Juden in Hameln
und in der Umgebung
Aerzen
Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde Aerzen wohnten verstreut in den Dörfern Aerzen, Reher, Groß Berkel und Hemeringen. Synagoge und Friedhof lagen im Flecken Aerzen. Nur die Hemeringer Juden verfügten wegen der weiten Entfernung nach Aerzen über einen eigenen Begräbnisplatz.
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Lage und Größe: |
in westlicher Richtung vor dem alten Ort am Reherweg (= Bundesstraße 1 gegenüber der Tankstelle) |
Bestand an Steinen: |
7 Steine aus einem Bestand von mindestens 40 Grabsteinen; Belegungszeitraum 1897 bis 1927 |
Daten zur Geschichte: |
• Gründungsdatum nicht bekannt. Friedhof der Synagogengemeinde Aerzen im Landrabbinat Hannover. Die Gemeinde umfasste neben Aerzen die Ortschaften Groß Berkel, Reher und Hemeringen. Hier bestatteten die Juden aus Aerzen, Groß Berkel und Reher ihre Toten. Allein die Hemeringer Juden verfügten – wegen der großen Entfernung nach Aerzen – über einen eigenen Friedhof. • 1938 ein großer Teil der Steine zerstört, entweder zum Haus- und Wegebau genutzt oder in einer Schuttkuhle gelandet • nach 1945 einige Steine zurückgestellt, vor allem der bedeutenden Landhändlerfamilie Herzberg • 2023 Aufstellung einer Erinnerungs- und Informationstafel (Text Bernhard Gelderblom) |

Straßenansicht
Foto Gelderblom 2017
Blick nach Westen auf die wiederaufgestellten Steine
Foto Gelderblom 2023
Inschrift der Erinnerungs- und Informationstafel
Zur Geschichte jüdischen Lebens in Aerzen
Juden sind in Aerzen seit dem späten 17. Jahrhundert bezeugt. Im 18. und 19. Jahrhundert entwickelte sich hier mit zeitweise sechs Familien ein recht bedeutendes jüdisches Leben.
Die Familien waren ins Dorfleben integriert und spielten als Vieh- und Getreidehändler sowie als Schlachter eine wichtige Rolle. Zu nennen ist vor allem die Familie Herzberg, die einen großen Landhandel betrieb und mehrere Häuser besaß.
Im 19. Jahrhundert bildete Aerzen zusammen mit Groß Berkel, Reher und Hemeringen einen Synagogenverband. Hier standen Synagoge und Schule.
Der jüdische Bankier Adolf Meyer (Hannover) legte 1845 mit der Einrichtung einer Landmaschinenfabrik in Reher die Grundlage für die industrielle Entwicklung Aerzens. Die Ortsnamen Theresienthal, Edenhall und Alteburg erinnern bis heute an seine Aktivitäten und die seines Sohnes Wilhelm.
Auf Bauernhöfen in Aerzen und Umgebung lebten und arbeiteten 1925-1930 junge Jüdinnen und Juden, um sich auf ein gemeinschaftliches Leben in Palästina vorzubereiten. Sie hatten sich zum „Kibbuz Cherut“ (= Kibbuz Freiheit) zusammengeschlossen. Mit anderen Auswanderern gründeten sie in Israel den bis heute bestehenden Kibbuz Givat Brenner.
Nach 1900 und mehr noch, nachdem die Nationalsozialisten seit 1933 an der Macht waren, verließen jüdische Einwohner den Ort und zogen nach Hameln und in andere Orte oder verließen Deutschland.
Die letzte Einwohnerin jüdischen Glaubens war Särchen Meier, die bis 1941 am Goldschlag lebte und unter der Judenfeindschaft mancher Einwohner sehr zu leiden hatte, aber auch heimliche Hilfe bekam. Sie starb am 20. Dezember 1941 im israelitischen Krankenhaus in Hannover und wurde auf dem jüdischen Friedhof Hannover-Bothfeld bestattet.
Ein Friedhof ist an dieser Stelle seit Mitte des 19. Jahrhunderts bezeugt. Er diente den Juden aus Aerzen, Reher und Groß Berkel als letzte Ruhestätte. Am 9. November 1938 wurde er von Nationalsozialisten des Ortes zerstört. Aus einem Bestand von etwa 40 Steinen konnten sieben gerettet und nach dem Kriege wieder aufgestellt werden.
„Seine/ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens.“ So lautet die Schlussformel auf jedem jüdischen Grabstein. Nach jüdischem Religionsgesetz sind Gräber Ruhestätten für alle Zeiten – bis zum Kommen des Messias am Ende der Tage. Ein Friedhof ist Stätte der Ewigkeit.
Die Namen der aus Aerzen stammenden und in der NS-Zeit
ermordeten jüdischen Bürgerinnen und Bürger
Aus Aerzen selbst wurde niemand deportiert, aber neun Personen, die in Aerzen geboren wurden bzw. hier lange gewohnt hatten, wurden in der NS-Zeit aus anderen Orten des Reiches oder aus dem Ausland in die Vernichtungslager verschleppt und ermordet.
Käthe Bernstein, geb. Erle, wurde am 14.11.1871 in Aerzen geboren. Aus Osnabrück floh sie 1939 in die Niederlande. Von dort wurde sie am 11.12.1942 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Berta Erle, geb. Löwenstein, wurde am 4.3.1873 in Herford geboren. Mit ihrem Ehemann Gad lebte sie in Aerzen, anschließend in Hameln und seit 1906 in Hannover. Im September 1941 wurden die Eheleute im „Judenhaus“ Ohestraße 9 zwangseinquartiert. Am 15.12.1941 wurde sie mit ihrem Ehemann in das Ghetto Riga deportiert und dort ermordet. Der Tag ihres Todes ist unbekannt.
Gad Erle wurde am 2.12.1869 in Aerzen geboren. Mit seiner Ehefrau Berta lebte er in Aerzen, anschließend in Hameln und seit 1906 in Hannover. Am 9.11.1938 wurde Gad Erle in das KZ Buchenwald verschleppt. Zuletzt mussten die Eheleute im „Judenhaus“ Ohestraße 9 leben. Am 15.12.1941 wurde er mit seiner Ehefrau in das Ghetto Riga deportiert und dort ermordet. Der Tag seines Todes ist unbekannt.
Betty Goldstein, geb. Herzberg, wurde am 16.4.1858 in Aerzen geboren. Mit ihrem Ehemann, dem Viehhändler Louis Goldstein, lebte sie seit 1900 in Hameln. Nach seinem Tod ging die Witwe 1939 in ein jüdisches Altersheim nach Hannover. Seit September 1941 nutzte die Stadt Hannover dieses Haus als „Judenhaus“. Am 20.5.1942 wurde Betty Goldstein im Vernichtungslager Auschwitz ermordet.
Georg Herzberg wurde am 27.1.1883 in Aerzen geboren. Er lebte in Kassel und flüchtete von dort in die Niederlande. Er wurde im „Polizeilichen Durchgangslager“ Amersfoort von der SS am 4.10.1942 ermordet.
Heinrich Herzberg wurde am 4.6.1888 in Aerzen geboren. Der Arzt lebte mit seiner Ehefrau Irma in Hannover. Am 9.11.1938 wurde Heinrich Herzberg in das KZ Buchenwald verschleppt. Zuletzt mussten die Eheleute in Hannover im „Judenhaus“ Ohestraße 8 leben. Am 15.12.1941 wurde Heinrich Herzberg mit seiner Ehefrau Irma in das Ghetto Riga deportiert und dort ermordet. Der Tag ihres Todes ist unbekannt.
Anna Koopmann, geb. Erle, wurde am 30.1.1868 in Aerzen geboren. Ihr letzter Wohnort war in Hamburg. Am 15.7.1942 wurde sie in das Ghetto Theresienstadt und am 21.9.1942 in das Vernichtungslager Treblinka verschleppt und ermordet.
Sofie Küchemann, geschied. Brandt, geb. Löwenstein, wurde am 9.9.1858 in Aerzen geboren. Sie lebte in Hannover. Am 23.7.1942 wurde sie in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Sie starb dort am 6.12.1942.
Ella Weinberg, geb. Gronsfeld, wurde am 6.1.1876 in Aerzen geboren. Nach ihrer Eheschließung mit Gustav Weinberg wohnte sie in Vlotho und später in Dortmund. Am 27.1.1942 wurde Ella Weinberg in das Ghetto Riga deportiert und dort ermordet. Der Tag ihres Todes ist unbekannt.
Recherche und Text: Bernhard Gelderblom, Hameln
