Am Sabbath vor der Synagoge in Fürth (um 1800). Während die
Mehrzahl der Personen die traditionelle jüdische Festtracht trägt,
sind die Frauen links im Empire-Stil gekleidet. Die Tracht der Kinder
(links) hat sich im Ostjudentum erhalten und lebt heute in
Mea Shearim (Israel) weiter.
Quelle Gidal, S. 127
Der Preis für die Erlangung der Emanzipation war die Aufgabe aller äußerlichen Merkmale der Juden in Kleidung, Sprache und Berufen. Konkret bedeutete es die Annahme deutscher Sprache und Kultur, das Streben nach gesellschaftlichem und beruflichem Aufstieg und die Modernisierung der jüdischen Religion.
Die Emanzipation musste keineswegs die Auflösung des Judentums zur Folge haben, sondern seine Neudefinition. Es war der schwierige Versuch, sowohl an der jüdischen wie auch an der deutschen Kultur und Gesellschaft teilzuhaben. Wir wissen, wie oft er misslang.
Ein Beispiel ist Heinrich Heine, der die Taufe als das "Eintrittsbillet" in die deutsche Gesellschaft bezeichnet hat. Er ließ sich taufen, um nicht ein Paria in seinem geliebten Deutschland zu bleiben. Aber dem Doktor der Rechte wurde sein Gesuch um eine Staatsanstellung als das Gesuch eines Juden abgelehnt. Heine ging 1831 nach Paris und wenige Jahre später wurden seine Schriften in Deutschland verboten.
Trotz verschiedener Rückschläge überwog in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die optimistische Grundstimmung. Genährt wurde sie durch die zunehmende gesellschaftliche Integration und den wirtschaftlichen Aufstieg der Juden, vor allem aber durch die schrittweise rechtliche Gleichstellung, die in den meisten deutschen Staaten während der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts erreicht wurde. Hannover bildete hier das Schlusslicht. Erst seit seinem Aufgehen im Norddeutschen Bund im Jahre 1869 kam es zur rechtlichen Gleichstellung der Juden.
Aber noch lebten die meisten Juden vor allem in Dörfern und Kleinstädten. Dort vollzogen sich die Umwälzungen viel langsamer als in den Städten.
Die napoleonische Zeit brachte mit rasch wechselnden Stadtherren große Wirren über Hameln. Die Festung wurde 1808 auf Befehl Napoleons geschleift, das umfangreiche Festungsgelände aber erst 1850 für die Bebauung freigegeben. Jetzt erst konnte sich die Stadt ausdehnen und zum Standort von Industrien entwickeln. 1845 hatte sie 6.404 Einwohner, 1884 waren es 10.924.
Die Zahl der jüdischen Familien lag bei 10 bis maximal 16 Familien (60 bis 80 Personen). In der Mehrzahl waren diese arm. 1831 wurden sechs von zehn jüdischen Familien wegen Bedürftigkeit von der Zahlung des Schutzgeldes befreit. Der Magistrat beklagte sich 1833 über viele "bettelarme" Juden in der Stadt. Nahezu die Hälfte aller Familien befasste sich mit Trödelhandel. Dazu kamen zunftfreie Gewerbe (Putzmacherei, Tabakshandel, ein Wattengeschäft sowie Buchbinderei) sowie Geld- und Lotteriegeschäfte. Seit ca. 1833 gab es einen jüdischen Arzt in der Stadt, Dr. Dessa, sowie zeitweise einen jüdischen Tierarzt, Dr. Spiegelberg.
Drei Hamelner Juden hatten am Befreiungskrieg gegen Napoleon teilgenommen. Begeistert waren sie für die deutsche Sache in den Krieg gezogen, wollten beweisen, dass sie als Juden für die deutsche Nation kämpfen wollen, dass jüdische Emanzipation und deutsche Nation miteinander zu vereinbaren waren. Zwei von ihnen wurden sogar befördert und kehrten als Unteroffizier und Leutnant nach Hameln zurück.
Danach die große Enttäuschung. Das Königreich Hannover schaffte die Gleichstellung der Juden, die in der napoleonischen Zeit verwirklicht worden war, komplett ab.
Auch die Einrichtung der Schutzbriefe blieb bestehen.
Anweisung der Landdrostei Hannover an die
Stadt Hameln wegen der Schutzgelder für
Juden (1840)
Quelle Asaria, S. 80
Bei der Anweisung der Landdrostei Hannover an die Stadt Hameln handelte es sich um eine der letzten Schutzgeldforderungen. Die Aufstellung zeigt die nach Vermögen unterschiedliche Höhe des Schutzgeldes. Es finden sich mehrere Witwen und verarmte Personen, die von der Zahlung befreit sind.
Nur ein Reformgesetz wurde von Hannover übernommen. Juden mussten feste Familiennamen annehmen. Welcher Stadtschreiber konnte denn zwischen Samuel Salomon und Salomon Ephraim unterscheiden? Es war die Regel, dass ein Vater seinen ersten Sohn nach dem Großvater nannte, der Sohn von Herz Berend also Berend Herz hieß. Hinter dem neuen Namensrecht standen vor allem bürokratische und polizeiliche Motive.
Erst in der Mitte des Jahrhunderts konnte sich das Königreich Hannover der allgemeinen Reformbewegung nicht mehr entziehen. 1842 wurden die Schutzverhältnisse aufgelöst und die meisten beruflichen Schranken abgebaut. Allein für den von der Obrigkeit ungeliebten Trödelhandel musste noch eine Konzession beantragt werden. Seit 1847 war Hausbesitz mit geringem Anteil an Land gestattet. Von der Ausübung politischer Rechte in Staat und Gemeinde waren die Juden aber noch immer ausgeschlossen.
Der berufliche Schwerpunkt der eher kleinbürgerlichen und kapitalarmen Hamelner Juden lag weiter im Handel. Gleichwohl besserte sich die wirtschaftliche Lage der Hamelner Juden allmählich. Nach 1850 entstanden fünf Bankgeschäfte. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der jüdischen Einwohner durch Zuzug aus den umliegenden Dörfern stark an. Die aus den Dörfern kommenden Juden eröffneten Geschäfte als Land- und Viehhändler.
Der aus Polen stammende Lehrer Leszynsky führte in dieser Übergangszeit die Gemeinde konsequent auf einen Reformkurs.
In seine Zeit fällt die Einführung der deutschen Sprache im Synagogengottesdienst. Anlässlich einer "Konfirmation" (statt Bar Mizwa) im "Tempel" wurden in deutscher Sprache und mehrstimmig Choräle gesungen. Seit dieser Zeit gab es das Gebet für den König und später den Kaiser als festen Bestandteil jedes Gottesdienstes.
Die Stimmung in Teilen der Stadtbevölkerung war den Juden recht positiv gesinnt. Die von Senior Schläger herausgegebenen Hamelschen Anzeigen machten sich zum Sprachrohr dieser Stimmung.
Mit großem moralischem Enthusiasmus forderte Schläger, die Juden aus ihrer Isolierung herauszuholen und den deutschen Bürgern gleichzustellen. Diese Form des Philosemitismus war nicht ohne nationale Selbstüberschätzung. Die Juden, so meinte man, müssten sich angesichts der Einladung, zur Höhe deutscher Kultur und Zivilisation aufzusteigen, dankbar und anpassungsbereit zeigen. Worin dann noch die Eigenart eines deutschen Juden bestehen dürfe, davon machte sich niemand eine Vorstellung. Übrigens sah sich Senior Schläger dann am Ziel, wenn es ihm gelang, einen Juden zur Taufe zu überreden und damit aus der angeblichen Enge und Beschränktheit des alttestamentlichen Gottesglaubens zu befreien.
© Bernhard Gelderblom Hameln