Nirgendwo gingen die Gewaltakte in eine Volkserhebung gegen Juden über. Die deutsche Bevölkerung lehnte in ihrer Mehrheit diese Art des Vorgehens gegen die Juden ab. Aber es gab auch niemanden, der sich den Gewalttaten dieser Nacht in den Weg stellte.
An sich hatte sich das Regime von wilden Aktionen gegen die Juden zurückgezogen. An ihre Stelle war die stufenweise "gesetzliche" Ausschaltung der Juden getreten, von der deutschen Bürokratie mit Perfektion betrieben.
Die Initiative für die "Aktion" ging auf Goebbels zurück. Er mobilisierte mit Hitlers Zustimmung den harten Kern der "Alten Kämpfer" in SA und NSDAP – Gruppen, die von der Machteroberung nicht profitiert hatten, Gruppen, die immer wieder durch Verbot daran gehindert worden waren, ihren radikalen Antisemitismus auszuleben. Das erklärt, dass die nächtlichen Aktionen überall von großer Gewalttätigkeit gekennzeichnet sind.
Die folgenden Maßnahmen waren für das gesamte Reich angeordnet worden:
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Alle Synagogen sind, wo möglich, zu zerstören.
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Die Feuerwehr hat für den Schutz von benachbarten Häusern zu sorgen.
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Archivmaterial ist vorher durch die Gestapo zu beschlagnahmen.
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Wohlhabende männliche Juden sind festzunehmen und in ein Konzentrationslager zu "überstellen".
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Noch bestehende jüdische Geschäfte sind zu schließen.
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Jüdische Friedhöfe sind zu zerstören.
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Es darf keine polizeiliche Untersuchungen geben.
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Zeitungsmeldungen sind zu unterlassen.
Entsprechend der letzten Anordnung lautete die Meldung der DEWEZET vom 10. November:
"Vergeltungsmaßnahmen.
Als gestern Abend die Nachricht vom Tode des deutschen Legationssekretärs vom Rath in der Stadt bekannt wurde, machte sich auch in Hameln die Empörung der Bevölkerung über den feigen jüdischen Mordanschlag in der deutschen Botschaft in Paris in einer Reihe von Vergeltungsmaßnahmen Luft. Wie wir erfahren, mußten einige Juden in Schutzhaft genommen werden."
Weil es nie eine gerichtliche Untersuchung der Verbrechen des 9. November 1938 gegeben hat, sind die Einzelheiten bis heute nicht geklärt, aber das Folgende lässt sich aus Aussagen von Zeitzeugen rekonstruieren. Anwesend und beteiligt in unterschiedlichen Rollen waren Gestapo, SA und SS, Feuerwehr und Polizei. Dass es vor der Brandlegung eine Plünderung des Gebäudes gegeben hat, ist wahrscheinlich. Augenzeugen wollen SA-Männer mit Resten der Thora-Rolle gesehen haben. Das Feuer wollte nicht in Gang kommen; es gab mehrere Versuche, bis schließlich Stroh und auch Benzin den Brand entfachten. Die Feuerwehr half dabei. Am nächsten Morgen standen nur noch die Außenmauern des massiven Synagogengebäudes. Auch das angrenzende Lehrerhaus war beschädigt worden.
Die beiden Fotos zeigen die zerstörte Synagoge.
Von Erich Adler, der wie andere Hamelner Juden vor die brennende Synagoge geschleppt worden war und anschließend nach Buchenwald kam, ist überliefert:
In der Kristallnacht wurde die Synagoge abgebrannt. Das war für mich ein unvergesslicher Anblick. Ich bin ein religiöser Mensch und Sie können sich vorstellen, was das für mich bedeutete."
Während des Brandes und auch am folgenden Tage standen zahlreiche Menschen am Brandort, schweigend, wie es von Augenzeugen heißt ("Ich habe mich mit Abscheu abgewandt.").
In derselben Nacht wurden der Hamelner jüdische Friedhof sowie alle Friedhöfe des Landkreises zerstört. Die beiden noch bestehenden jüdischen Geschäfte wurden geplündert und geschlossen. Aus Hameln wurden zehn Männern festgenommen und, nachdem einzelne von ihnen vor die brennende Synagoge geführt worden waren, in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt.
© Bernhard Gelderblom Hameln