Zu einer Wiederherstellung der Synagoge ließ es die Stadt aber gar nicht mehr kommen. Unmittelbar nach der Brandschatzung verfügte sie eigenmächtig den Abriss, ohne die jüdische Gemeinde um Erlaubnis gefragt zu haben.
Die Zerstörung der Synagoge muss der Stadt sehr gelegen gekommen sein. Schon vor dem 9. November hatte sie Interesse am Erwerb des Grundstückes gehabt und war in Verhandlungen mit der jüdischen Gemeinde eingetreten.
Mit Schreiben der Stadtgemeinde Hameln vom 17. Oktober 1938 teilte die Stadt der Synagogengemeinde mit, dass sie das Grundstück kaufen möchte. Das Angebot belief sich auf 4.000 RM für das Lehrerhaus sowie 5.892 RM für das Grundstück. Im Schreiben hieß es einleitend, die Synagoge "mache äußerlich den Eindruck völligen Verfalls" und man gehe davon aus, "dass kein Interesse an dem Grundstück mehr bestehe".
Dr. Kratzenstein, damals Vorsteher der jüdischen Gemeinde, lehnte das Ansinnen der Stadt in einem Schreiben vom 2. November ab. Die Gemeinde Hameln benötige die Synagoge für den Gottesdienst und beabsichtige nicht, diese zu verkaufen. Kratzenstein schloss aber nicht aus, dass "einmal der Zeitpunkt kommt, dass sie hierzu bereit ist". Den Vorwurf, die Gemeinde ließe die Synagoge verkommen, wies er zurück, lediglich Fenster seien eingeworfen worden.
Kratzenstein zeigte sich über den angebotenen Preis verwundert und wies auf den hohen Einheitswert der Immobilie hin. Immerhin berechne die Stadt danach die Grundsteuer. Entweder habe die Synagoge also den festgesetzten Wert, dann müsse derselbe auch gezahlt werden, oder nicht, dann müsse die Steuer herabgesetzt werden. Der Einheitswert, der generell immer niedriger angesetzt war als der Verkaufswert, belief sich 1938 auf 32.500 RM.
Mit Schreiben vom 5. November teilte Vermessungsdirektor Reiche im Auftrage des Oberbürgermeisters Dr. Kratzenstein mit, dass man sein Schreiben mit Bedauern zur Kenntnis genommen habe. Die Synagoge stelle für die Stadt "keinen Wert da" da sie im Falle des Ankaufs abgerissen würde. Sollte Kratzenstein seine Meinung ändern, stünde die Stadt zum Ankauf bereit.
Vier Tage später steckten Hamelner SA-Männer und Feuerwehr die Synagoge in Brand. Dr. Kratzenstein, der Vorsteher der Gemeinde, starb am 28. November an den Folgen der Misshandlungen, die er nach seiner Verschleppung in das KZ Buchenwald hatte erleiden müssen.
Die Verhandlungen mit der Synagogengemeinde übernahm Stadtrat Dr. Hans Krüger. Vor Beginn vermerkte Krüger am 20. Dezember 1938, sollte ein Kaufvertrag nicht zustande kommen, müsse der Zugriff auf das Grundstück eben mit Hilfe der "VO über den Einsatz jüdischen Vermögens" vom 3. Dezember 1938 erfolgen. Reiche hatte sich diese Verordnung drei Tage vorher zukommen lassen, die entsprechenden Stellen markiert und Krüger mit den nötigen "Argumenten" für die "Verhandlungen" ausgerüstet. In der Verordnung heißt es:
Einem Juden kann aufgegeben werden, ... sein Grundeigentum ... ganz oder teilweise binnen einer bestimmten Frist zu veräußern.
Einem Runderlass des "Reichskommissars für Preisbildung" Hermann Göring vom 13. Dezember 1938 zum Verkauf jüdischer Grundstücke entnahm Reiche die Argumente zur "Preisbildung" ("Eine Herabsetzung des Kaufpreises ... ist zulässig"), ungeachtet dessen, dass selbst Görings Erlass vom Einheitswert als unterer Bemessungsgrenze ausging.
Krüger wiederholte das Angebot vom 10. Oktober 1938, 9.800 RM für Grundstück und Haus. Die Gemeinde stimmte zu. Am 3. Februar 1939 wurde der Kaufvertrag von Reiche im Beisein des neuen Gemeindevorstehers Elias Birnbaum im Urkundenregister eingetragen. Um auch die in Hameln noch verbliebenen Juden loszuwerden – diese waren inzwischen völlig verarmt –, machte die Stadt zur Bedingung, dass der Kauferlös nur "zur Beschaffung von Fahrkarten zur Auswanderung" verwendet werden dürfte.
Doch dieser Kaufvertrag war nur der Auftakt zu einer Serie von immer wieder neuen "Verhandlungen" mit dem Ziel, den Preis noch tiefer zu drücken. Ungeachtet des ohnehin schon viel zu niedrig bemessenen Kaufpreises forderte die Stadt trotz fertigen Kaufvertrags und erfolgter Umschreibung im Februar "Nachverhandlungen".
Krüger erreichte eine Ermäßigung des Kaufpreis auf 6.500 RM. Allerdings war Birnbaum nicht bereit, von dieser deutlich geringeren Summe auch noch die Abbruchkosten abzuziehen. Diese wurden von der Stadt mit 2.000 RM veranschlagt, betrugen aber tatsächlich nur 350 RM. Damit hätte sich ein Gesamtpreis von 8.500 RM, also 1.300 RM weniger als beim ersten Angebot ergeben.
Dem Oberbürgermeister war auch das noch zu viel. Krüger verhandelte seit Anfang März erneut mit Birnbaum. Als am 30. März 1939 der Eintrag des Angebotes in das Urkundenregister erfolgte, betrug der Kaufpreis noch 7.500 RM. Abzüglich der 1.500 RM, die für den Abriss angesetzt wurden, blieben nun nur noch 6.000 RM für die jüdische Gemeinde. Die Stadt nahm am 6. April das "Angebot" urkundlich an.
Inzwischen war nicht mehr das Landesrabbinat in Hannover der Vertragspartner. Die Genehmigung musste nun durch die "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" erfolgen, an die auch der Kauferlös abgeführt werden musste. Bei der Reichsvereinigung handelte es sich um eine den Juden aufgezwungene Organisation, deren Aufgabe es u. a. war, das jüdische Vermögen "restlos" zugunsten des Reiches zu verwerten. Der Kaufpreis ist also nicht an die Hamelner Juden ausgezahlt worden, sondern auf einem Sperrkonto der Reichsvereinigung gelandet und damit dem Deutschen Reich verfallen.
Am 2. Februar 1940 wurde das Grundstück Bürenstraße 5 auf die Stadt Hameln umgeschrieben.
© Bernhard Gelderblom Hameln