Der "reichsweite Boykott"-Tag in Berlin
13. März
Zum ersten Mal stehen SA-Männer mit Schildern vor jüdischen Geschäften:
"Kauft nicht bei Juden!"
"Die Juden sind unser Unglück."
"Wer beim Juden kauft, schädigt das deutsche Reich."
"Ich bin Jude. Deutsche kauft bei Deutschen."
"Wer vom Juden frißt, stirbt daran."
16. März
Die DEWEZET, die in den ersten Wochen des Dritten Reiches noch frei berichten konnte, schreibt:
"Mit einem Galgen, den sie auf einen Handwagen montiert
hatten, zogen SA-Leute vor ein hiesiges jüdisches Geschäftshaus. Dort luden
sie das Gerüst ab, stellten es auf und hielten den Vorübergehenden Plakate
hin, auf denen eine Aufforderung zu lesen war des Inhalts: Kauft deutsche
Waren!"
(DEWEZET vom 17.3.1933)
17. März
In der Nacht werden erneut Fensterscheiben eingeschlagen;
diesmal auch in Privathäusern.
30. März
Die große Schaufensterscheibe des Kaufhauses Friedheim
wird eingeschlagen.
1. April
Höhepunkt der gegen die Juden gerichteten Kampagne ist der große "reichsweite Boykott" am 1. April 1933. In der DEWEZET findet sich eine ganzseitige Anzeige.
"Aufruf an die deutschen Schwestern und Brüder in Hameln Stadt und Kreis. Juda hat Deutschland den Krieg erklärt." Der Boykott dient der "Abwehr der jüdischen Hetze im Auslande. ... Ein Deutscher, der trotzdem noch beim Juden kauft, begeht Volksverrat."
Der "Aufruf" nennt 29 Namen von Geschäften, Ärzten und Rechtsanwälten und gibt auch deren genaue Adresse an.
In der Nacht splittert wieder Glas: Bei Bernstein am Münsterkirchhof, bei Keyser in der Ritterstraße und beim Rechtsanwalt Katzenstein. Es kommt noch schlimmer: bei Keyser wird geplündert! Die DEWEZET berichtet:
"Aus den Schaufenstern in der Ritterstraße wurden Kleidungsstücke
und ein Gedenkblatt entwendet, das dem Geschäftsinhaber beim Tode seines
gefallenen Sohnes ausgestellt wurde."
(DEWEZET vom 3.4.1933)
Die Ereignisse in Hameln haben den Charakter eines Pogroms, der von der städtischen Verwaltung, der Polizei und vielen Bürgern tatenlos hingenommen wird.
Die Erklärung für die Heftigkeit dieses "Radauantisemitismus"
liegt im Radikalismus der Hamelner NSDAP. Sie sucht sich in besonders wilden
Aktionen gegen Juden ihr Betätigungsfeld.
Der Hamelner SA-Führer Richard Kalusche
(Quelle Hameln-Pyrmont, Ein Heimatbuch
des Kreises, 1934, S. 4)
Charakteristisch ist SA-Führer Richard Kalusche. Der gelernte Monteur zählt zu den ältesten Nationalsozialisten der Stadt. Kalusche trat in der Öffentlichkeit in der Regel mit Reitpeitsche auf und war häufig angetrunken.
© Bernhard Gelderblom Hameln