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Die Stadt Hameln und ihre Juden
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Synagoge und Mahnmal

Die Synagoge im Gedächtnis der Stadt und ihrer Bürger

Die Neugestaltung in Hameln

Die Ansprache anlässlich der Einweihung

Die Einweihung des Mahnmals fand unter großer Beteiligung der Bevölkerung am 30. August 1996 statt. Eine ganze Reihe ehemaliger Hamelner Juden nahm daran teil. Die Ansprache von Bernhard Gelderblom anlässlich der Einweihung des Mahnmals am 30. August 1996 versucht eine Deutung des Mahnmals.
 

Liebe Gäste aus Israel, den Niederlanden und den USA, liebe Bürgerinnen, liebe Bürger,

an diesem Ort weihte im Jahre 1879 die Hamelner jüdische Gemeinde ihr neues Gotteshaus. In der damals noch wenig bebauten Bürenstraße zeugte das Bauwerk vom Selbstbewusstsein und vom nationalen Geist seiner Erbauer. Es war aufgeführt in den klaren und wuchtigen Formen der Romanik mit zwei gedrungenen Rundtürmen und einfachen Rundbogenfenstern.

Zur Einweihung pflanzte die Gemeinde zwei Bäume rechts und links des Eingangs, Eichen, Pyramideneichen. Auf den wenigen Fotos, die von der Synagoge existieren, kann der Betrachter ihr Wachsen verfolgen. Den Brand der Synagoge in der Nacht des 9. November 1938 haben sie überstanden. Bis zur Neugestaltung des Mahnmals waren sie durch eine hohe lastende Mauer eingezwängt. Sie sind nun Teil von ihm. Es gibt den Blick frei auf die beiden hoch ragenden Bäume.

In den Jahren zwischen den Kriegen klettert Efeu die Backsteinwände der Synagoge hinauf. Verwunschen liegt sie in der stillen Bürenstraße. Der Anschein der Idylle ist vorbei mit dem 30. Januar 1933. Während in der Hamelner Innenstadt die SA lärmend und brutal gegen die jüdischen Geschäfte demonstriert, gibt es hier in der stillen Bürenstraße zwei Anschläge auf das jüdische Gotteshaus.

Wer damals die Synagoge besuchen wollte, etwa aus Richtung der Kaiserstraße, der passierte zunächst Wallbaums Weinstuben, las dort das Schild: "Juden unerwünscht", musste, kurz bevor er die Synagoge betrat, an zwei Stürmerkästen vorbei mit der Aufschrift: "Brecht die Judenmacht – dann erlöst ihr die Menschheit", und war dann doch in den Gemeindeversammlungen und Vorträgen nie unbeobachtet. Von allen Gemeindeversammlungen liegen uns Spitzelberichte der Gestapo vor.

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Die Nacht des 9. November 1938 bringt den schrillen Höhepunkt des Radauantisemitismus der Hamelner SA. Viele Menschen haben zugeschaut, wie die Synagoge zunächst geplündert und dann in Brand gesetzt wird, haben gewiss auch gesehen, wie einzelne jüdische Bürger – von der SA gezwungen – sich das Schauspiel der brutalen Gewalt anschauen mussten.

Auf Anordnung des Hamelner Oberbürgermeisters wird die Ruine wenige Wochen später beseitigt; das Grundstück geht in städtischen Besitz über. Vom Bauwerk bleibt ein kleiner Rest, ein Pfeiler der alten Einfriedung auf ihrer linken Seite und das zugleich mit der Synagoge errichtete ehemalige Lehrerhaus, das Sie im Hintergrund sehen. Aus städtischem Hand ist es heute in Privatbesitz gelangt.

Des Geschehens in der Nacht des 9. November 1938 gedenken wir jährlich. Doch es war nur Vorspiel zu einem viel schlimmeren Akt, der sich anschließend vollzieht. Judenpolitik wird Verwaltungshandeln. In vielen kleinen Schritten und über einen Zeitraum von mehreren Jahren geschieht die Ausgrenzung, Entrechtung, Verdrängung und Enteignung der Juden. Dabei können in einer Stadt wie Hameln die Opfer den Tätern nicht unbekannt gewesen sein.

Es ist das schrittweise Auslöschen des Namens, das sich hier vollzieht. Am Anfang hatten die Boykotte gestanden, gerichtet gegen die Geschäfte Löwensteins, Friedheims, Birnbaums und Bernsteins. Ein Schritt hin zur Wegnahme des eigenen Namens war das "J" im Pass, der zusätzliche Vorname "Israel", "Sara". Am Ende steht das namenlose Eingehen in eine Zahl von Ermordeten, die unseren Verstand und unser Vorstellungsvermögen übersteigt. Das Mahnmal möchte den namenlos und bürokratisch Ermordeten ihren Namen zurückgeben.

In einem Transport im März 1942 werden die Menschen unter 65 Jahren in das völlig überfüllte Warschauer Ghetto geschafft. Darunter befindet sich die kleine Helene Dina Hammerschlag, geboren am 28. August 1936 (vor zwei Tagen hätte sie ihren 60. Geburtstag gefeiert!). Von dem kleinen Mädchen hören wir, weil sich "Deutsche Volksgenossen", arische Mieter des Judenhauses Neue Marktstraße 13 bei der Stadtverwaltung beschweren, ihre Kinder müssten mit jüdischen Kindern zusammen spielen! Die Antwort des zuständigen Beamten lautet: "Es ist Aufgabe der arischen Eltern, auf ihre Kinder zu achten, dass sie nicht mit Juden sprechen." Als Dina deportiert wird, ist sie 5 Jahre alt, ein kaum gelebtes Leben, ein namenloser Tod.

Der Transport vom Juli 1942 verschleppt die zurückgebliebenen Alten in das Getto Theresienstadt. Unter ihnen ist Rosa Bernstein, mit 87 Jahren die älteste. Die seit langem verwitwete Frau muss ihre Wohnung verlassen und in ein Judenhaus ziehen, weil eine arische Familie darauf Anspruch erhebt. Vier Monate nach ihrer Einlieferung in das "Altersghetto" Theresienstadt ist sie tot.

99 Namen von Ermordeten stehen auf den fünf in Stahl gegossenen Tafeln. Nur bei neun Menschen wissen wir das Datum und den Ort ihres Todes. Bei der Mehrzahl sind Ortsnamen wie Warschau, Riga, Auschwitz, Maly Trostinec die letzte Spur ihres Lebens. 24 mal steht ein "Verschollen" am Ende der Zeile. Dann wissen wir nicht einmal vom Datum und Zielort der Deportation.

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Es sind 99 Namen von Bürgern, die in Hameln geboren wurden oder die später Hameln als Wohnsitz nahmen. Einige von ihnen haben die Stadt wieder verlassen, weil sie sich angesichts des alltäglichen Antisemitismus in einer Großstadt wie Hamburg oder Berlin sicherer fühlten; andere waren wie die Familie Keyser in die Niederlande geflohen. 29 waren bis zum Schluss in Hameln geblieben, viele von ihnen ältere, oft allein stehende Frauen. 29 werden von Hameln aus deportiert.

Dieses Mahnmal möchte erinnern, und es weiß, dass fassbare, heilsame Erinnerung nur die Erinnerung an das Schicksal eines einzelnen Menschen, einer Familie sein kann. Es ist das Ausmaß der Katastrophe, das uns überwältigt und hilflos macht. Leicht trübt es den Blick für das Unrecht, das stets im kleinen begann und das von Menschen geübt wurde, die die Freiheit hatten, auch anders zu handeln. Vielleicht kann die Einsicht, dass das Unfassbare in einer uns so vertrauten Umgebung, in Hameln seinen Anfang nahm, verhindern, dass sich Ähnliches wiederholt. Nationalsozialismus war nicht das absolut Fremde, das sich von außen unserer Heimat bemächtigte. Die Bereitschaft mitzulaufen, mitzuhandeln war in dieser Stadt groß.

Die 99 Namen sind aufgrund von Archivunterlagen sorgfältig erarbeitet. Ehemalige Hamelner Juden haben geholfen. Aber zu viele aus der Generation der Emigranten sind inzwischen verstorben. Niemand vermag heute zu sagen, ob die Liste der 99 Namen als abgeschlossen gelten kann, niemand auch, ob die Schicksale ganz richtig erfasst wurden.

Die Anstrengung der Erinnerung setzte in Hameln spät ein. Davon zeugt ein Gedenkstein, der im Jahre 1963 errichtet wurde – 25 Jahre nach der Zerstörung und Beseitigung der Synagoge. Er wurde damals auf den äußersten Rand des Grundstückes gesetzt, das zunächst als Gemüsegarten, später als Spielplatz dient. Seine Inschrift lautet:

Menschen verstummen -
Steine reden immer.
Zum Gedenken an den Untergang der jüdischen Gemeinde Hameln
in den Jahren 1933-1945.

Das Ungenügen der Inschrift ist offensichtlich; sie nennt nichts beim Namen, die Opfer nicht, die Täter nicht. Der unkundige Passant weiß nicht, dass hier die Synagoge gestanden hat. Trotz dieses Ungenügens ist der Stein heute – an einer ganz zentralen Stelle – Bestandteil des Mahnmals. Jede Zeit hat die Pflicht der Erinnerung, aber auch die ihr eigene Art der Erinnerung. Vielleicht waren Verdrängen und Vergessen in der Situation der Nachkriegszeit lebensnotwendig. Von dieser Zeitbezogenheit ist auch die Gestalt des Mahnmals, die wir heute einweihen, nicht ausgenommen.

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Sie liegt im Wege, muss vom Passanten umgangen werden: eine viele Tonnen schwere zweigeteilte Welle aus geschmiedetem Stahl. Auseinandergetrennt, gestaltet hat sie Herr Hans-Jürgen Breuste aus Hannover: Ein "stilles, ernstes Zeichen", so hat es Herr Breuste formuliert. Er hat uns keine Deutung an die Hand gegeben. Aber jedem Betrachter – denke ich – teilt sich mit:

Da ist einer Sache Gewalt angetan worden. Normalerweise bricht so etwas ja nicht. Und: Mit dem Dritten Reich ist nicht etwas zerbrochen worden, was später wieder zusammengesetzt werden konnte. Nein, der Gedanke eines Zusammenlebens von Christen und Juden in Deutschland ist unwiderruflich zu einem Ende gebracht worden. Das Ausmaß des Bruches vermitteln die Tafeln der Namen: neun mal lesen wir den Namen Löwenstein; elf mal den Namen Jonas. Und auch Ihr Besuch, verehrte Gäste aus Israel, ist kein Hinweis auf Kontinuität.

Herr Breuste hat bewusst darauf verzichtet, einem Geschehen, das in Worten nicht beschrieben werden kann, eine ästhetische Gestalt zu geben. Und doch wird, wer einmal in einer stilleren Stunde das Mahnmal besucht, das Zusammenspiel, den Dreiklang von Bäumen und Skulptur wahrnehmen.

Auch den Zaun hat Herr Breuste geschaffen. Auch er wird zum Zeichen. Es dominieren die Senkrechten, Enge, Eingeschlossensein, Verletztheit andeutend. Die Waagerechte, die Ruhe, wird nie gehalten.

So sind nun alle Teile des Mahnmals genannt, der Zaun, die Skulptur, die Tafeln, der alte Pfosten, die Bäume. Alles das zusammengenommen schafft einen Raum, gestaltet einen Ort für Erinnerung und Trauer, für eine stille Geste des Gedenkens.

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Es ist vielfältiger Dank auszusprechen.

Herr Breuste hat die Fertigstellung des Mahnmals sehr engagiert betrieben. Er hat sich nicht damit begnügt, eine Idee, einen Entwurf abzuliefern, sondern jeden Schritt der Realisierung begleitet und mit Hand angelegt.

Alle beteiligten Firmen haben gute Arbeit geleistet. Viele waren bereit, uns Preisnachlässe zu gewähren, so daß die Kosten am Ende niedriger lagen als veranschlagt.

Herr Böhm vom Grünflächenamt hat in überaus geduldiger und engagierter Weise zusammen mit uns die technische Seite des Baus betreut.

Das wichtigste aber: viele Bürgerinnen und Bürger aus Hameln und Umgebung haben gespendet. Sie haben das in einem Maße getan, das unsere Erwartungen weit überstiegen hat.

Es scheint nötig, das Mahnmal gegen Missverständnisse in Schutz zu nehmen. Es ist nicht seine Absicht, in den heute nachrückenden Generationen Schuldgefühle zu erwecken, aber es will erinnern an Verbrechen, die aus der Mitte dieser Stadt heraus verübt wurden. Es ist auch nicht seine Absicht, laute Vorwürfe und ungerechte Anklagen gegen unsere Väter und Großväter zu erheben; es will eher uns fragen, ob wir heute eigentlich sicher sind, vor ähnlich schrecklichen Irrtümern geschützt zu sein?

Umgekehrt: wir dürfen das Mahnmal auch nicht überfordern. Die Erinnerung an das, was geschah, darf nicht allein in ein Mahnmal gebannt bleiben. Weswegen wir trauern, woran wir erinnern, es muss Teil des Gedächtnisses der Menschen dieser Stadt sein. Mit dieser Feierstunde geht das Mahnmal in das Eigentum und die Fürsorge der Stadt Hameln über.

Sie hören jetzt die 99 Namen, die auf den Tafeln stehen, gelesen von vier Schülerinnen und Schülern des Albert Einstein-Gymnasiums.

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© Bernhard Gelderblom Hameln